Heilung erst nach Jahren zu beurteilen
Heilung kann niemals zugesichert werden. Sie ist immer erhofft und erwünscht und in vielen Fällen statistisch gesehen durchaus möglich. Aber das Risiko einer Wiedererkrankung oder Neuerkrankung bleibt immer bestehen. Schlagzeilen wie „Sieg über den Krebs“ erscheinen insbesondere bei der Berichterstattung über Prominente häufig schon nach Abschluss der lokalen Primärtherapie (Operation und Bestrahlung). Sie ergeben zu diesem Zeitpunkt ein falsches Bild. Gerade in den ersten beiden Jahren ist das Rückfallrisiko hoch.
Die Sorglosigkeit der Medien im Umgang mit dem Begriff „Heilung“ kann zu einem falschen und gefährlichen Gefühl der Sicherheit führen. Häufig schließen sich an die Akutbehandlung Chemotherapie und Langzeittherapien an, die oft über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren eingenommen werden. Eine Heilung ist bis dahin nicht wirklich zu beurteilen. Angesichts dieser Situation von „Sieg über den Krebs“ zu sprechen, ignoriert die Wirklichkeit.
Genauso verletzend können Schlagzeilen sein, wie „Kampf gegen den Krebs verloren“. Die Formulierung macht manchen ein schlechtes Gewissen und löst Schuldgefühle aus. Die Frage nach der Schuld stellen sich ohnehin viele Betroffene, wenn sie an Krebs erkranken. Die meisten Betroffenen glauben, sie hätten eine Mitschuld an ihrer Erkrankung. Doch dafür gibt es keinen Grund: Ob man an Krebs erkrankt oder nicht, ist vor allem eine Frage des Zufalls.
Schlagzeilen von verlorenem Kampf erwecken den Eindruck, dass ich es in der Hand habe, ob ich gesund bleibe oder wieder erkranke, ob ich siege oder verliere. Erst recht wenn die Krankheit fortschreitet, suggerieren sie Gedanken wie „Habe ich nicht genug gekämpft, habe ich die falschen Mittel eingesetzt, habe ich einen falschen Kampf geführt? Bin ich der Verlierer und auch noch daran selbst schuld?“ Diese Gedanken belasten zusätzlich, setzen unter Druck und binden viel Kraft, die anderweitig besser eingesetzt werden könnte.
Die Metapher des Kampfes kann verhindern, dass Männer und Frauen mit Krebs darüber nachdenken, was eigentlich mit ihnen geschieht. Es kann ein Punkt kommen, an dem es darum geht, die Endlichkeit des Lebens zu akzeptieren. Wer glaubt, immer weiter kämpfen zu müssen, kann den natürlichen Vorgängen nicht ihren Lauf lassen, kann seinen Begleitern und den palliativmedizinischen Maßnahmen nicht vertrauen. Wer glaubt, kämpfen zu müssen, der fängt auch aussichtslose Kämpfe an und zahlt einen hohen Preis dafür.