Kampf? Sieg? Niederlage?

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Hilde Schulte, Ehrenvorsitzende der „Frauenselbsthilfe nach Krebs“

„Die kriegerische Sprache verfehlt ihre Wirkung nicht. Sie verstärkt die Lebensbedrohung und den Eindruck, es gehe ums Ganze, um Krieg oder Frieden, um Sieg oder Niederlage, um schwarz oder weiß.“ - Gedanken zum Umgang mit Krebs in den Medien.

„X hat den Krebs besiegt“ – „Y hat den Kampf gegen den Krebs verloren“: Schlagzeilen wie diese erregen die Aufmerksamkeit der Leser. Journalistisch gut, reißerisch aufgemacht, eine geschickte Vorgehensweise – aber ich mag Schlagzeilen dieser Art nicht. Schließlich lesen auch Krebspatienten wie ich diese Überschriften. Krebspatienten, die frisch erkrankt sind und noch unter dem Schock der stehen, die sich gerade einer notwendigen mit belastenden Nebenwirkungen unterziehen, deren Krankheit bereits fortgeschritten ist oder die sich in palliativmedizinischer Behandlung befinden. Sie alle nehmen diese Schlagwörter und Artikel besonders stark wahr, weil sie betroffen sind.

Die kriegerische Sprache verfehlt ihre Wirkung nicht. Sie verstärkt die Lebensbedrohung und den Eindruck, es gehe ums Ganze, um Krieg oder Frieden, um Sieg oder Niederlage, um schwarz oder weiß. Die Grautöne kommen in der Medienwelt nicht vor, obwohl die Fortschritte in der Medizin das Entweder-Oder, Heilung oder Tod, aufgelöst haben. Es gibt ein Leben mit Krebs, oft über einen langen Zeitraum auch bei fortgeschrittenem Stadium und mit guter Lebensqualität.

Heilung erst nach Jahren zu beurteilen

Heilung kann niemals zugesichert werden. Sie ist immer erhofft und erwünscht und in vielen Fällen statistisch gesehen durchaus möglich. Aber das Risiko einer Wiedererkrankung oder Neuerkrankung bleibt immer bestehen. Schlagzeilen wie „Sieg über den Krebs“ erscheinen insbesondere bei der Berichterstattung über Prominente häufig schon nach Abschluss der lokalen Primärtherapie (Operation und Bestrahlung). Sie ergeben zu diesem Zeitpunkt ein falsches Bild. Gerade in den ersten beiden Jahren ist das Rückfallrisiko hoch.

Die Sorglosigkeit der Medien im Umgang mit dem Begriff „Heilung“ kann zu einem falschen und gefährlichen Gefühl der Sicherheit führen. Häufig schließen sich an die Akutbehandlung und Langzeittherapien an, die oft über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren eingenommen werden. Eine Heilung ist bis dahin nicht wirklich zu beurteilen. Angesichts dieser Situation von „Sieg über den Krebs“ zu sprechen, ignoriert die Wirklichkeit.

Genauso verletzend können Schlagzeilen sein, wie „Kampf gegen den Krebs verloren“. Die Formulierung macht manchen ein schlechtes Gewissen und löst Schuldgefühle aus. Die Frage nach der Schuld stellen sich ohnehin viele Betroffene, wenn sie an Krebs erkranken. Die meisten Betroffenen glauben, sie hätten eine Mitschuld an ihrer Erkrankung. Doch dafür gibt es keinen Grund: Ob man an Krebs erkrankt oder nicht, ist vor allem eine Frage des Zufalls.

Schlagzeilen von verlorenem Kampf erwecken den Eindruck, dass ich es in der Hand habe, ob ich gesund bleibe oder wieder erkranke, ob ich siege oder verliere. Erst recht wenn die Krankheit fortschreitet, suggerieren sie Gedanken wie „Habe ich nicht genug gekämpft, habe ich die falschen Mittel eingesetzt, habe ich einen falschen Kampf geführt? Bin ich der Verlierer und auch noch daran selbst schuld?“ Diese Gedanken belasten zusätzlich, setzen unter Druck und binden viel Kraft, die anderweitig besser eingesetzt werden könnte.

Die Metapher des Kampfes kann verhindern, dass Männer und Frauen mit Krebs darüber nachdenken, was eigentlich mit ihnen geschieht. Es kann ein Punkt kommen, an dem es darum geht, die Endlichkeit des Lebens zu akzeptieren. Wer glaubt, immer weiter kämpfen zu müssen, kann den natürlichen Vorgängen nicht ihren Lauf lassen, kann seinen Begleitern und den palliativmedizinischen Maßnahmen nicht vertrauen. Wer glaubt, kämpfen zu müssen, der fängt auch aussichtslose Kämpfe an und zahlt einen hohen Preis dafür.

Ringen um den Weg

Wir, die Erkrankten, können nicht gegen den Krebs kämpfen. Das macht die Medizin. Wir können aber, im Rahmen unserer Möglichkeiten, für etwas kämpfen: für das Erreichen des Therapiezieles, für den Erhalt der eigenen Kräfte, für die eigenen Werte. Wer „nur“ gegen den Krebs kämpft, kann dieses Ziel kaum erreichen und verliert Lebensqualität.

Als Krebskranke ringe ich um einen Weg, den ich auch mit verändertem Aussehen, mit Einschränkungen und Verlusten und mit reduzierten Kräften gehen kann. Ich setze meine verbleibenden Kräfte für Sinnfragen des Lebens ein, für das, was mir wertvoll ist und durch die Krankheit noch wertvoller geworden ist. Das spielt sich alles in meiner Seele ab. Und mit der Seele kann ich nicht Krieg führen. Hier kann ich nicht siegen oder verlieren.

Mir ist ein anderes Bild als das kriegerische Szenario lieber. Nach der Krebs habe ich mir vorgestellt, ich befände mich mit einem wilden Tier in einem dunklen Wald. Angst war vorherrschend und die Ungewissheit, wie es weitergehen könnte. Was macht das wilde Tier, was mache ich? Kann ich mich aus meiner Starre überhaupt lösen? Ich wage vorsichtige Schritte, in gebührendem Abstand zu dem Tier, das ich nur schemenhaft wahrnehmen kann.

Je länger nichts passiert, umso mehr reduziert sich meine Angst, umso mehr kann ich mich dem Tier nähern, kann es genau anschauen. Ich habe es immer im Auge, ich erkenne allmählich seine Konturen, ich gewöhne mich an seinen Anblick und erfasse es immer mehr. Wir kommen uns so nahe, dass ich mich traue, das Tier anzufassen. Die anfängliche Bedrohlichkeit, die von ihm ausging, nehme ich kaum noch wahr. Die Berührung ist nichts Schreckliches, nichts Beängstigendes mehr. Ich kann mich arrangieren mit dem wilden Tier, offensichtlich können wir beide im Wald leben. Mittlerweile ist das Tier Teil meines Lebens geworden. Manchmal kann ich es sogar streicheln und es tut mir gut.

Ich kann mit dem wilden Tier leben. Durch das Tier habe ich Facetten in mir entdeckt, die ich vorher nicht kannte und ohne das Tier nicht gefunden hätte.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Aktualisiert am 29. November 2023

Nächste geplante Aktualisierung: 2026

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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