Wie wird Autismus festgestellt?

Foto von Mutter und Tochter bei einer U-Untersuchung

Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die nur Fachleute durch eine gründliche Untersuchung feststellen können. Eine kann bei einigen Kindern bereits im zweiten Lebensjahr gestellt werden, bei anderen ist dies erst später möglich. Das hängt unter anderem davon ab, wie deutlich die Auffälligkeiten sind und wie sich das Kind entwickelt.

Wenn sich ein Kind ungewöhnlich entwickelt, kann das für die Eltern sehr beunruhigend sein. Ob es sich um Autismus handelt, kann erst nach einer gründlichen Untersuchung gesagt werden. Zwei Dinge möchte man vermeiden:

  • dass eine gestellt wird, obwohl kein Autismus vorliegt – denn Fehldiagnosen können unnötig verunsichern und falsche Behandlungen nach sich ziehen.
  • dass Autismus übersehen oder sehr spät erkannt wird – denn eine frühzeitige Unterstützung ist sehr wichtig.

Zunächst äußern Ärztinnen und Ärzte bei bestimmten Auffälligkeiten einen „Verdacht auf Autismus“. Wenn die Auffälligkeiten nach einigen Monaten weiter bestehen, wird das Kind meist umfassend untersucht. Eine Frühförderung kann jedoch schon vorher beginnen, wenn eine Entwicklungsstörung der Sprache oder der Motorik vermutet wird.

Es ist möglich, dass sich ein Verdacht auf Autismus nicht bestätigt. Umso wichtiger ist es daher, alle notwendigen Untersuchungen abzuwarten.

Wohin wende ich mich, wenn mein Kind sich auffällig verhält?

Bei Auffälligkeiten sollte zunächst die Kinder- und Jugendarztpraxis oder eine Hausarztpraxis aufgesucht werden. Dort finden erste Untersuchungen statt und das weitere Vorgehen kann besprochen werden. Manchmal reichen ein Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt oder einige Untersuchungen aus, um eine Erklärung oder Hilfe zu bekommen.

Auch bei einer der regelmäßigen U-Untersuchungen können Eltern berichten, wenn ihnen etwas Sorgen macht. Oder die Ärztin oder der Arzt stellt bei einer solchen Untersuchung Auffälligkeiten fest.

In der Kinder- oder Hausarztpraxis kann mit Fragebögen und Untersuchungen geprüft werden, ob es Anzeichen für Autismus gibt. Damit kann aber noch keine gestellt werden.

Wer kann Autismus diagnostizieren?

Autismus diagnostizieren können nur:

  • Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
  • Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie
  • Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutinnen und -Psychotherapeuten
  • psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten
  • speziell qualifizierte Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin

Die Diagnostik ist in spezialisierten Praxen oder Kliniken sowie in Sozialpädiatrischen Zentren möglich. Wenn sie in psychotherapeutischen Einrichtungen erfolgt, müssen immer auch speziell qualifizierte Ärztinnen oder Ärzte eingebunden werden.

Wichtig ist:

Auf keinen Fall sollte man eine Selbstdiagnose stellen. Selbsttests im Internet können eine durch Fachleute nicht ersetzen, aber unnötig verunsichern.

Wie wird Autismus bei Kindern festgestellt?

Die Diagnostik selbst ist sehr umfassend und braucht Zeit. Denn die Fachkräfte müssen genau hinschauen, um andere Ursachen für die Auffälligkeiten auszuschließen. Zu den Untersuchungen gehören:

  • Gespräche mit Kind und Eltern: Diese dienen der ersten Einschätzung, welche Probleme bestehen und wie die Familiensituation ist.
  • Befragung anhand von Fragebögen: Die Eltern werden ausführlich befragt, beispielsweise dazu, wie sich ihr Kind verhält, wie es kommuniziert und wie es sich entwickelt hat. Auch Betreuungspersonen aus dem Kindergarten oder der Schule können einbezogen werden. Es wird nach Risikofaktoren geschaut, zum Beispiel Komplikationen während der Schwangerschaft oder ob Verwandte Autismus haben.
  • Verhaltensbeobachtung: Die Kinder werden beispielsweise dabei beobachtet, wie sie mit anderen Menschen umgehen und wie sie sich beim Spielen verhalten.
  • Entwicklungstests: Dazu gehören vor allem ein Intelligenztest und die Beurteilung der Sprachentwicklung. Sind solche Tests nicht möglich – zum Beispiel, weil das Kind sehr eingeschränkt ist –, wird dies durch Beobachtung eingeschätzt.
  • medizinische Untersuchung: Dazu gehören zum Beispiel eine körperliche Untersuchung, Hör- und Sehtests sowie genetische Tests. Sie dienen dazu, andere Erkrankungen auszuschließen oder Begleiterkrankungen zu erkennen. Welche Untersuchungen sinnvoll sind, ist individuell unterschiedlich.

Bei den Untersuchungen wird vor allem darauf geachtet, wie das Kind mit anderen Menschen in Beziehung tritt, wie gut es spricht und ob es stereotype Verhaltensweisen zeigt.

Dokumente wie Kindergartenberichte, Schulzeugnisse und Arztbriefe können Hinweise darauf geben, wie sich das Kind entwickelt hat und ob andere Personen bereits Auffälligkeiten beobachtet haben.

Wie werden Erwachsene untersucht?

Bei Erwachsenen ist die Diagnostik ähnlich umfangreich wie bei Kindern und Jugendlichen. Die ist oft schwieriger zu stellen, da die Anzeichen meist unauffälliger sind als bei Kindern. Zudem können andere Erkrankungen ähnliche Symptome hervorrufen, wie zum Beispiel Persönlichkeits- oder Angststörungen.

Erwachsene, die bei sich Autismus vermuten, können sich für eine erste Untersuchung an ihre Hausarztpraxis wenden – oder direkt an eine psychiatrische oder psychotherapeutische Praxis. Diese können bei Bedarf an Einrichtungen überweisen, die auf die Diagnostik von Autismus spezialisiert sind.

Warum dauert es manchmal so lange bis zur Diagnose?

Dafür gibt es verschiedene Gründe:

  • Termine in spezialisierten Einrichtungen zu bekommen, ist schwierig. Die Wartezeiten betragen teilweise mehr als ein Jahr.
  • Es ist nicht immer klar, wer zuständig ist. Dann werden verschiedene Einrichtungen aufgesucht, um eine Erklärung für die Auffälligkeiten zu bekommen.
  • Zunächst werden andere Diagnosen gestellt, die nicht passen – erst später stellt sich heraus, dass es eine Fehldiagnose war und Autismus dahintersteckt.
  • Die gründliche selbst braucht Zeit.
  • Bei Menschen mit weniger auffälligen Merkmalen wird der Autismus oft sehr spät erkannt – manchmal erst im Erwachsenenalter. Dies betrifft Frauen häufiger.

Viele spät diagnostizierte Erwachsene spüren schon lange, dass bei ihnen etwas anders ist – haben aber noch keine Erklärung dafür gefunden. Vielleicht haben sie die Auffälligkeiten bewusst oder unbewusst überspielt, um zu funktionieren und nicht aufzufallen. Dieses sogenannte Masking kann dazu beitragen, dass sie erst sehr spät den Schritt gehen, die Auffälligkeiten durch Fachleute abklären zu lassen. Das Masking kann auch dazu beitragen, dass die schwieriger zu stellen ist.

Kann es auch Fehldiagnosen geben?

Ja – deshalb sollten die Untersuchungen wissenschaftlichen Standards entsprechen. Bei einer sorgfältigen Diagnostik ist eine Fehldiagnose deutlich unwahrscheinlicher. Gründliche Untersuchungen finden vor allem in spezialisierten kinder- und jugendpsychiatrischen Praxen und Kliniken sowie Sozialpädiatrischen Zentren statt. Auch einige Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sind auf die Autismus-Diagnostik spezialisiert.

Autismus-ähnliche Symptome können auch andere Ursachen haben. Viele Menschen verhalten sich manchmal auffällig, was unterschiedliche Gründe haben kann. Zudem ist herausforderndes Verhalten wie Wut manchmal eine Reaktion auf belastende Umstände – zum Beispiel eine Trennung oder Überforderung – und hat dann nichts mit einer Entwicklungsstörung zu tun. Außerdem ist es normal, dass sich Kinder gerade in der frühen Kindheit verschieden schnell entwickeln. Das kann es erschweren, zwischen ungewöhnlichem und normalem Verhalten zu unterscheiden.

Manchmal stecken hinter den auffälligen Verhaltensweisen auch andere Probleme: Zum Beispiel können umschriebene Entwicklungsstörungen dafür verantwortlich sein, dass ein Kind spät sprechen lernt. Oder traumatische Erlebnisse führen dazu, dass sich ein Kind stark zurückzieht und sehr schnell wütend reagiert. Auch übermäßiger Medienkonsum und soziale Isolation verstärken bei manchen Kindern Auffälligkeiten, die einem Autismus ähneln. Außerdem können bei psychischen Erkrankungen wie Zwangs-, Angst- oder Bindungsstörungen, Depressionen oder ADHS Autismus-ähnliche Symptome auftreten.

Warum werden mehr Autismus-Diagnosen gestellt als früher?

In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Zahl der Autismus-Diagnosen deutlich zugenommen. Vor allem bei Kindern, die nicht intellektuell beeinträchtigt sind – also am ehesten der früher verwendeten Einteilung „Asperger-Autismus“ entsprechen –, werden vermehrt Diagnosen gestellt.

Dafür gibt es verschiedene Erklärungen: So gibt es eine erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema und mehr Menschen vermuten, dass ihr Kind oder sie selbst Autismus haben. Ärztinnen und Ärzte stellen die inzwischen nach anderen Kriterien. Autismus wird heutzutage seltener übersehen als früher – zugleich könnte auch die Zahl der Fehldiagnosen gestiegen sein. Ob Autismus häufiger vorkommt als früher, ist unklar.

Was passiert nach der Diagnose?

Wenn Kinder oder Jugendliche die „Autismus-Spektrum-Störung“ erhalten, wird geschaut, welche Form der Unterstützung sie brauchen. Das kann eine Autismus-spezifische sein, eine spezielle Förderung in der Kita oder Schule, Sprachförderung oder Entlastung im Familienalltag. Gemeinsam mit den Therapeutinnen und Therapeuten wird ein Behandlungsplan erstellt. Auch die Eltern werden unterstützt und beraten. Für sie ist es wichtig zu wissen, an welche Anlaufstellen sie sich wenden können.

Für Erwachsene geht es meist zunächst darum, mit der umzugehen und zu verstehen, was sie für das eigene Leben bedeutet. Auch für sie gibt es verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten zu Hause und am Arbeitsplatz. Außerdem lassen sich bestimmte Probleme psychotherapeutisch behandeln – zum Beispiel die Schwierigkeit, Bedürfnisse und Emotionen anderer Menschen zu verstehen.

Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP). Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Teil 1: Diagnostik (S3-Leitlinie, in Überarbeitung). AWMF-Registernr.: 028-018. 2016.

Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Teil 2: Therapie (S3-Leitlinie). AWMF-Registernr.: 028-047. 2021.

Roy M, Strate P. Autism Spectrum Disorders in Adulthood-Symptoms, Diagnosis, and Treatment. Dtsch Arztebl Int 2023; 120(6): 87-93.

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Ob eine der von uns beschriebenen Möglichkeiten im Einzelfall tatsächlich sinnvoll ist, kann im Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt geklärt werden. Gesundheitsinformation.de kann das Gespräch mit Fachleuten unterstützen, aber nicht ersetzen. Wir bieten keine individuelle Beratung.

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Erstellt am 19. Juni 2024

Nächste geplante Aktualisierung: 2027

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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