Habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin

Foto von zwei Frauen beim Ausfüllen von Formularen

Greta, 57 Jahre

„Ich bin von Arzt zu Arzt gerannt, immer in der Hoffnung, dass jemand eine Idee haben könnte, wie man mir helfen kann. Ich habe viele Sachen probiert, auch Dinge, die ich selber bezahlen musste. Ich habe jeden Strohhalm gegriffen.“

Ich war ein eher kränkliches Kind, hatte oft Fieber und Schmerzen. Meine Mutter hat sich immer viele Sorgen um mich gemacht.

Ich war auch oft im Krankenhaus, zum Beispiel wegen der Entfernung des Blinddarms und der Mandeln. Schon als Kind habe ich beschlossen, Krankenschwester zu werden. Dieses Ziel habe ich verfolgt und es auch erreicht. In der Ausbildung war ich aber oft krank und habe gemerkt, dass ich nicht so belastbar wie die anderen war. Aber allzu viele Gedanken habe ich mir nicht darum gemacht, sondern mich irgendwie durchgeboxt. Ich hatte sehr viel Freude an meinem Beruf. Privat habe ich geheiratet und Kinder bekommen.

Ich war immer weniger belastbar

Meine Belastbarkeit wurde mit der Zeit jedoch immer geringer, im Beruf und daheim. Vor etwa zwölf Jahren hatte ich einen Bandscheibenvorfall, der operiert wurde. Die Schmerzen sind nach der Operation aber geblieben.

Ich habe alles mögliche ausprobiert, vor allem Schmerzmittel. Ich wollte unbedingt arbeiten. Ich hatte eine Leitungsposition übernommen und sehr lange Arbeitstage mit vielen Aufgaben. Ich hatte mittlerweile auch Schmerzen in den Händen, Füßen, Knien und ein „hämmerndes“ Gefühl im ganzen Körper. Dadurch fielen mir manche Arbeitsaufgaben immer schwerer.

Da muss etwas anderes sein

In der Zeit nach der Operation wurde mir bewusst, dass da noch etwas anderes sein musste. Die Schmerzen waren überall und gingen einfach nicht weg, es war merkwürdig. Die Ärzte waren aber zunächst auf den Rücken fokussiert. Ich bin auch zu einer Reha gefahren, aber dort ging es mir von Tag zu Tag schlechter. Der ganze Körper schmerzte.

Die Schmerzen sind bei mir wie ein Muskelkater, der nie verschwindet. Dazu kommt ein Gefühl der Enge und Muskelanspannung. Zusätzlich habe ich manchmal so einen einschießenden Schmerz, als ob mir ein Messer ins Gewebe gerammt wird. Manchmal habe ich auch eine Art Brennen an den Füßen und Knöcheln und das Gefühl, so eine Art Klumpfuß zu haben. Das schmerzt extrem stark. Manchmal sind die Füße tatsächlich ein klein wenig geschwollen, aber das geht dann wieder weg.

Der Zusammenbruch

Etwa vor acht Jahren hatte ich einen Zusammenbruch, ich konnte einfach nicht mehr. Ich bin zu meinem Hausarzt gegangen. Er hat auf Rheuma getippt, konnte aber nichts Auffälliges finden. Ich habe mich dann in ein Krankenhaus einweisen lassen. Ich wollte unbedingt wissen, was mit mir los ist. Nach 14 Tagen bekam ich dann die Fibromyalgie. Da fiel mir ein Stein vom Herzen. Da war wirklich etwas und ich hatte keine „Macke“.

Die Ärztin gab mir eine Informationsbroschüre und die Nachricht mit auf dem Weg, dass ich nicht an meiner Erkrankung sterben werde. Darum bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen. Aber in diesem Moment wusste ich, dass ich mit diesen Schmerzen alt werde, weil es nichts wirklich gibt, was dauerhaft hilft.

Verzweifelte Suche nach Hilfe

Ich bin von Arzt zu Arzt gerannt, immer in der Hoffnung, dass jemand eine Idee haben könnte, wie man mir helfen kann. Wieder habe ich viele Sachen probiert, auch Dinge, die ich selber bezahlen musste. Ich habe jeden Strohhalm gegriffen.

Diese Heilversprechen aus dem Internet und von vielen Anbietern sind immens. Die Hoffnung ist ja immer da, dass etwas helfen könnte. Gleichzeitig ist es schwer, Hilfe anzunehmen und sich einzugestehen, dass man vieles nicht mehr kann. Menschen mit Fibromyalgie sind oft Perfektionisten. Das macht das Ganze nicht einfacher.

Schließlich bin ich bei einer Schmerztherapeutin gelandet. Sie hat mir Opiate verordnet, die auch geholfen haben. Ich war glücklich und bin arbeiten gegangen. Aber der Effekt hielt nur etwa drei, vier Wochen an. Dann musste die Dosis erhöht werden. So ging das eine ganze Weile und die Dosis wurde weiter und weiter erhöht.

Meine Abhängigkeit von Opiaten

Als ich wieder in einer Rehaklinik in Behandlung war, wurde ich nach wenigen Tagen gefragt, ob ich den Aufenthalt nicht um mehrere Wochen verlängern und in die Entzugsabteilung wechseln möchte. Ich war von den Opiaten abhängig geworden. Das war ein Schock für mich. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals von den Tabletten abhängig werden könnte. Ich hatte sie ja verordnet bekommen. Zuerst habe ich mich geweigert, das zu glauben – aber ich habe eingewilligt und war dort ein Vierteljahr in Behandlung. In dieser Zeit habe ich sehr viel für mich gelernt. Ich bin mit dem festen Willen nach Hause gegangen, nie wieder Opiate zu nehmen.

Ich habe wieder angefangen zu arbeiten, aber nach vier Monaten war ich wieder in derselben Schleife. Ich war zickig und verletzbar und irgendwie ein anderer Mensch. Ich nahm auch wieder Opiate. Ich dachte, ich hätte es im Griff – hatte es aber nicht. Ich bin erneut zur Entzugsbehandlung gefahren. Mir wurde dann endgültig klar, dass mir Opiate bei meiner Fibromyalgie nicht helfen, sondern eher schaden.

Die Rente war mein Weg

Noch während dieses Klinikaufenthalts habe ich beschlossen, eine Rente zu beantragen. Die Belastung war für mich zu groß. Ich bin aus meinem Beruf ausgestiegen, habe jedoch gleichzeitig begonnen, mich in der Selbsthilfe zu engagieren.

Der Kampf um Anerkennung schlaucht: in der Öffentlichkeit, beim Arbeitgeber und der Krankenkasse. Ich wollte auch finanziell unabhängig sein – das war ich mein Leben lang. Mein Mann meinte zwar, dass wir versorgt sind und ich mir keine Sorgen machen soll. Aber als der Rentenbescheid da war, war ich sehr erleichtert.

Mein Beruf fehlt mir trotz allem. Mein Mann ist auch vorzeitig berentet worden. Unser gemeinsamer Traum, mehr zu reisen, wenn wir älter werden, ist nicht möglich. Mir fällt langes Sitzen schwer und auch das Einleben in einer fremden Umgebung ist nicht einfach für mich.

Ich habe Zeit gebraucht, meinen Weg zu finden

Ich habe mittlerweile meinen Weg gefunden. Es gibt schon Medikamente, die mir kurzfristig helfen, aber langfristig muss ich selber aktiv werden. Ablenken, rausgehen, mich bewegen. Wichtig ist es, herauszufinden, was einem guttut. Ein Tagebuch zu führen, hilft mir dabei.

Lange habe ich Angst gehabt, mich bei Schmerzen zu bewegen. Ich dachte, die Schmerzen werden vielleicht durch die Bewegung stärker oder ich schade mir damit. Ich habe erst spät erkannt, dass ich meine Kondition stärken und in Bewegung bleiben muss. Es war für mich ein Aha-Erlebnis, dass nichts passiert, wenn ich mich trotz der Schmerzen bewege.

Am Anfang war immer in meinem Kopf: Wenn es mir heute Abend gut geht und ich tanzen gehe oder etwas anderes unternehme, dann wird es mir morgen schlecht gehen. Ich bin mit der Zeit nach und nach dazu übergegangen zu sagen, dass es egal ist, wie es mir morgen gehen wird. Ich lebe im Hier und Jetzt und es ist toll, heute Spaß zu haben. Wenn ich mir das verbiete, weil ich Angst vor morgen habe, dann habe ich gar keinen Spaß mehr im Leben.

Bewegung und Ablenkung sind wichtig

Ich versuche, mich jeden Tag mindestens 20 bis 30 Minuten zu bewegen. Ich gehe zweimal in der Woche zur Wassergymnastik, mache Nordic und fahre Fahrrad, wenn es das Wetter erlaubt.

Wenn ich Sport gemacht habe, bin ich immer total stolz auf mich! Ich habe für mich gelernt: Wenn ich mich nicht bewege, habe ich Schmerzen. Wenn ich mich bewege, habe ich zwar auch Schmerzen, aber ich fühle mich wohler, erhalte meine Beweglichkeit und habe ein Erfolgserlebnis.

Ich weiß heute auch, dass mir Ablenkung gut hilft, mit den Schmerzen umzugehen. Ich musste lernen, dass da niemand ist, der mir die Schmerzen für längere Zeit nimmt und ich selber damit umgehen muss.

Ich kenne meinen Körper seit Jahren nur mit Schmerzen. Wenn ich mich ablenke, sind die Schmerzen zwar noch da, aber ich denke nicht mehr über sie nach. Zum Beispiel habe ich mir das Nähen beigebracht, ich nähe Schmink- und Kulturtäschchen. Wenn ich nähe, habe ich keine Schmerzen.

Einen guten Arzt zu finden, ist nicht einfach

Es gibt keine allgemeingültige Strategie für alle, das macht es auch schwierig für Ärzte. Bei den meisten Menschen mit Fibromyalgie sind die Beschwerden verschieden ausgeprägt. Und das Medikament, das dem einen etwas hilft, hat bei dem anderen oft keinen Effekt.

Ganz wichtig ist es, einen guten Arzt zu finden. Das ist nicht einfach, aber man sollte nicht aufgeben. Manchmal muss man vielleicht ein Stück weiterfahren, aber es gibt gute Ärzte! Das Problem ist ja, dass man bei Fibromyalgie nichts nachweisen kann. Es gibt keinen Labortest oder so. Wichtig ist daher eine gute Ausschlussdiagnostik, also verschiedene andere Erkrankungen zu testen und auszuschließen.

Fehlende Anerkennung

Menschen mit Fibromyalgie haben immer damit zu kämpfen, dass sie nicht krank aussehen. Da können schnell Vorwürfe von anderen kommen – zum Beispiel, man sei unzuverlässig. Oft können Verabredungen nicht eingehalten werden, weil es einem psychisch oder körperlich nicht gut geht. Da braucht es viel Verständnis von Angehörigen und Freunden.

Das ist auch im Berufsleben schwierig: Man kann oft nicht sagen, wie es einem am nächsten Tag geht. Geregelte Arbeitszeiten sind oft schwer einzuhalten. Flexible Arbeitszeiten und angepasste Aufgaben wären für Menschen mit Fibromyalgie super. Aber oft gibt es wenig Bereitschaft bei den Arbeitgebern, die Bedingungen anzupassen.

Auf sich selbst achten

Ich finde es wichtig, sich ernst zu nehmen und ehrlich zu sich zu sein. Vor ein paar Wochen war ich an einem Punkt, an dem es nicht mehr ging. Das anzuerkennen und sich schnell um Hilfe zu kümmern, ist wichtig.

Ich war dann zum Beispiel 14 Tage in einem Krankenhaus. Mir hilft oft eine multimodale Schmerztherapie. Wärme tut mir besonders gut. In den Kliniken wird das Hyperthermie genannt. Ich bekomme dann Bäder in richtig großen therapeutischen Wannen. Auch Moorpackungen helfen mir ganz gut und Yoga. Andere brauchen eher eine Behandlung mit Kälte. Manche Kliniken halten dafür Kältekammern vor. Das alles nimmt einem zwar nicht die Krankheit, aber es kann für eine gewisse Zeit helfen.

Ich finde es wichtig, sich Auszeiten zu nehmen, für Bewegung und auch Entspannung. Atemübungen, Genusstraining, Aufmerksamkeitstraining … das alles hilft mir. Radfahren tut mir gut, laufen und Wassergymnastik.

Eine meiner Übungen ist, mir selber zu sagen, dass ich Schmerzen habe. Und dies dann so stehen zu lassen. Wenn ich anfange einzuschätzen, wie stark die Schmerzen gerade sind, wo genau sie herkommen, dann bekommen sie einen zentralen Platz in meinem Leben und schränken es ein. Das will ich nicht. Wichtig ist auch zu erkennen, was mir zu viel ist und was ich nicht mehr kann.

Oft denken wir, es sind die anderen, die uns den Druck machen. Ganz oft machen wir uns aber den Druck selbst. Es braucht Zeit, dies zu erkennen.

Meine Krankheit hat einen Namen

Ich habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin. Erwin ist immer bei mir. Ich sage Erwin oft eher „Guten Morgen“ als meinem Mann. Und Erwin meint immer, dass wir heute doch lieber liegen bleiben sollen und besser nicht aufstehen. Dann sage ich: Nee, du kannst ja liegen bleiben. Ich stehe heute mal ohne dich auf. Dann rappelt er sich aber meistens auch mit hoch. Aber ich lasse Erwin nicht mehr vor mir laufen, wie lange Zeit. Entweder neben mir oder hinter mir.

Austausch, Verständnis und Lachen in der Selbsthilfe

Die Selbsthilfegruppe hat mir sehr geholfen. Dort musste ich mich nicht erklären. Dort wurde ich verstanden und ich konnte mich mit anderen austauschen – auch darüber, was anderen im Alltag hilft. Wir lachen auch viel.

Ich bin der Meinung, dass in jeder Krankheit auch eine Chance steckt. Wenn ich nicht krank geworden wäre, hätte ich so viele nette Menschen aus der Selbsthilfe nicht kennengelernt.

Oft besteht ja die Forderung an die Medizin und Wissenschaft, dass etwas gefunden werden muss, das hilft. Das wäre schön, aber ich habe auch eine Eigenverantwortung mir selbst gegenüber. Die Situation ist jetzt wie sie ist, und ich muss das Beste daraus machen.

Für mich war es wichtig zu schauen, was ich in meinem Leben ändern kann, um besser klarzukommen – privat wie beruflich. Das ist sehr hart, sich das ganz realistisch und ehrlich anzuschauen. An manchen Tagen ist es ein Kampf mit Zweifeln und Diskussionen mit mir selber.

Im Kopf habe ich meine Strategien parat. Im Alltag gelingt mir es aber nicht immer, sie umzusetzen. Das ist normal und auch in Ordnung. Wichtig ist es, immer dran zu bleiben, auch an den nicht so guten Tagen. Man sollte sich auch immer mal wieder einen „doofen Tag“ gönnen. Aber am nächsten Tag wieder aktiv zu sein, finde ich wichtig.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Aktualisiert am 20. April 2022

Nächste geplante Aktualisierung: 2025

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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