Erfahrungen mit Antidepressiva

Foto von zwei Männern im Gespräch

Menschen mit Depressionen machen ganz unterschiedliche Erfahrungen mit der Einnahme von – gute wie schlechte. Sie erhoffen sich eine Besserung ihrer Beschwerden oder Schutz vor einem erneuten Auftreten. Gleichzeitig fürchten sich viele vor Nebenwirkungen oder empfinden es als Schwäche, ihre Probleme mit Medikamenten zu behandeln.

Manchen Menschen helfen Medikamente, depressive Phasen zu überwinden. Andere spüren nur einen geringen oder keinen Behandlungserfolg, und einige brechen die Einnahme wegen ihrer Nebenwirkungen ab. Viele empfinden auch eine gewisse Scheu, Medikamente gegen psychische Beschwerden einzunehmen oder machen sich Sorgen, abhängig zu werden.

Bei der Entscheidung, einzunehmen, spielen Erfahrungen mit , Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten, aber auch Medienberichte eine wichtige Rolle. Manche Menschen lehnen grundsätzlich ab, andere folgen einfach dem ärztlichen Rat und nehmen die Medikamente so ein, wie sie verschrieben wurden. Viele wägen aber die Vor- und Nachteile der Medikamente für sich gründlich ab.

Vorbehalte gegen Antidepressiva

Ein häufiger Grund für Vorbehalte gegen ist die Furcht vor Nebenwirkungen und auch vor Abhängigkeit. Anders als viele Schlaf- und Beruhigungsmittel machen aber nicht körperlich abhängig oder süchtig. Dennoch kann es zu vorübergehenden Beschwerden wie Schlaflosigkeit und Unruhe kommen, wenn man die Medikamente absetzt.

Manche Menschen bedrückt der Gedanke, dass sie es nicht ohne Medikamente schaffen, aus ihrer auszubrechen. Sie empfinden als eine Art „chemische Krücke“ – und sich selbst als schwach und hilflos, wenn sie darauf zurückgreifen. Andere fragen sich, ob sie die Medikamente tatsächlich brauchen, damit es ihnen besser geht. Häufig sind die Gefühle schwankend und widersprüchlich.

Auch die Sorge, „nicht normal“ zu sein, weil man nimmt, kann eine Rolle spielen. Man muss sich jedoch nicht schämen, Medikamente gegen psychische Erkrankungen einzunehmen. Bei körperlichen Erkrankungen ist dies schließlich auch kein Thema.

Es ist wichtig, solche oder ähnliche Bedenken mit der Ärztin oder dem Arzt offen zu besprechen. Manche Menschen trauen sich nicht, Ängste und Vorbehalte zu äußern oder kritische Fragen zu stellen. Das ist auch nicht immer leicht, denn nicht jeder Arzt vermittelt das Gefühl, dafür offen zu sein. Im Arztgespräch sollte es aber darum gehen, Entscheidungen zur Behandlung gemeinsam zu treffen. Dazu gehört vor allem auch, die Vor- und Nachteile der Medikamente sorgfältig abzuwägen.

Ausreichende und verlässliche Informationen über eine Behandlung sind die Voraussetzung, um eine persönlich passende Entscheidung treffen und auch mit möglichen Problemen während der Einnahme umgehen zu können. Neben der Beratung in der Arztpraxis oder der Apotheke gibt es noch weitere Informations- und Beratungsangebote, etwa psychosoziale Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen.

Beginn der Behandlung

Viele Menschen mit depressiven Beschwerden suchen von sich aus ärztliche Hilfe, weil sie wieder ein normales Leben führen wollen. Manche werden von besorgten Angehörigen und Freunden dazu ermuntert oder auch gedrängt.

Typisch für eine ist das Gefühl, hilflos zu sein und keine Kontrolle mehr über das eigene Leben zu haben. Deshalb kann es erleichternd sein, wenn die Ärztin oder der Arzt verschreibt. Viele würden zwar lieber ohne Medikamente auskommen oder zunächst andere Behandlungen ausprobieren. Doch oft sind sie sehr verzweifelt und erhoffen sich von eine rasche Besserung. Die Medikamente können zudem eine Möglichkeit sein, die Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz zu überbrücken.

Manche sind am Anfang enttäuscht, weil die nicht sofort helfen. Deshalb ist es wichtig zu wissen, dass eine spürbare Wirkung meist erst innerhalb von 1 bis 2 Wochen einsetzt, manchmal auch noch später.

Positive Erfahrungen

Für einen Teil der Menschen mit einer gehören die Medikamente mit der Zeit zum Leben dazu. Sie fühlen sich durch die Behandlung besser und haben das Gefühl, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, aktiv zu sein und den Alltag eigenständig bewältigen zu können.

Manche Menschen spüren auch kaum oder keine Nebenwirkungen. Für sie überwiegen die Vorteile der Behandlung. Sie haben das Gefühl, dass die Medikamente helfen, das seelische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten.

Eine wichtige Voraussetzung für eine längere, regelmäßige Einnahme von ist, dass man die Erkrankung akzeptiert und die Behandlung als wirksam empfindet. Wenn die positiven Seiten der Medikamenten-Einnahme überwiegen, fällt es meist auch leichter, mit den Nebenwirkungen zurechtzukommen.

Negative Erfahrungen

Manche Menschen haben den Eindruck, die Behandlung würde nicht helfen oder würde ihre Persönlichkeit verändern, etwa weil sie sich emotional wie abgestumpft fühlen. Die Nebenwirkungen können als so belastend empfunden werden, dass sie die Behandlung abbrechen. Einige müssen erst verschiedene Medikamente ausprobieren, bis sie das passende Antidepressivum finden. Andere erleben trotz mehrerer Behandlungsversuche keine Besserung und sind dann sehr enttäuscht.

Zu den negativen Erfahrungen können auch Nebenwirkungen beitragen. Körperliche Beschwerden wie Schwindel, trockener Mund, Gewichtszunahme, Konzentrationsprobleme oder Schlafstörungen können schwer auszuhalten sein. Das gilt aber genauso für Auswirkungen auf die Gefühlswelt: Manche Menschen vermissen die Fähigkeit, vielfältige und starke Gefühle zu empfinden. Die Medikamente können zudem die sexuelle Lust dämpfen.

Bei solchen emotionalen Veränderungen ist nicht immer klar, ob sie Folge der oder Nebenwirkungen der Medikamente sind. Dennoch wird die Einnahme eher beendet, wenn Betroffene den Eindruck haben, die Medikamente wirken sich negativ auf ihre Psyche aus.

Probleme während der Einnahme

Manche Menschen haben Bedenken, zu viele Medikamente zu nehmen – gerade Ältere mit mehreren Erkrankungen. Andere schreckt der Gedanke, vielleicht jahrelang Medikamente einnehmen zu müssen.

Wem es schwerfällt, Antidepressiva über Monate und manchmal auch Jahre anzuwenden, dem können verschiedene Strategien helfen. Dazu zählen regelmäßige Gespräche mit einer Ärztin oder einem Arzt. Neben einem guten Vertrauensverhältnis zu den Behandelnden sind außerdem gute und ausreichende Informationen über die Medikamente wichtig, um besser zu verstehen, wie sie wirken und warum sie regelmäßig eingenommen werden sollten.

Wenn die Mittel nicht wirken wie erwartet oder schwere Nebenwirkungen auftreten, versuchen einige Menschen, die Dosierung selbst zu verändern: Sie nehmen für eine Weile weniger oder mehr Tabletten. Andere setzen die Medikamente ohne ärztliche Rücksprache ganz ab. Das kann jedoch unter Umständen lebensbedrohlich sein. Daher ist es unbedingt notwendig, auftretende Probleme mit der Ärztin oder dem Arzt zu besprechen und nicht einfach mit der Einnahme aufzuhören. Vielleicht kann die Dosis angepasst oder ein anderes Medikament ausprobiert werden.

Manche beenden die Einnahme auch, weil es ihnen besser geht und sie glauben, dass sie die Medikamente nach Abklingen der Beschwerden nicht mehr benötigen. Um beschwerdefrei zu bleiben und Rückfällen vorzubeugen, empfiehlt es sich jedoch, die Einnahme wie geplant fortzusetzen – zumindest für eine etwa 4 bis 9 Monate dauernde Erhaltungstherapie. Anschließend kann man mit der Ärztin oder dem Arzt besprechen, ob eine weitere Einnahme sinnvoll ist.

Welche Informationen werden gewünscht?

Menschen, die anwenden, wünschen sich oft mehr und bessere Informationen über die verschriebenen Mittel. Sie möchten, dass Ärztinnen und Ärzte

  • ihre Probleme und Ängste ernst nehmen.
  • ehrlich und ausführlich über die Dauer bis zur Wirkung und über Nebenwirkungen informieren. Dann können sie sich eher darauf einstellen und damit umgehen.
  • über Alternativen berichten und nachvollziehbar die Vor- und Nachteile der Behandlung erklären. Es kann zu Unzufriedenheit führen, wenn verschrieben werden, ohne dass vorher gründlich nach den Beschwerden und deren Ursachen gefragt und Behandlungsalternativen besprochen werden.
  • die Gründe erklären, wenn sie die Dosierung ändern.

Viele Menschen können während einer schlecht Informationen aufnehmen oder behalten und fühlen sich unfähig, Entscheidungen zu treffen. Dann kann es hilfreich sein, sich die Informationen aufzuschreiben oder eine vertraute Person mit in das Gespräch zu nehmen.

Hilfreich ist, in beschwerdefreien Phasen die eigene Haltung zur Behandlung zu klären und diese beispielsweise mit Angehörigen, dem Partner oder Freunden zu besprechen.

Antidepressiva: Weder Glückspillen noch Placebo

In manchen Medienberichten werden fälschlicherweise als „Glückspillen“ bezeichnet. Das weckt falsche Erwartungen. Wichtig ist: Die Medikamente sollen und können keine Glücksgefühle auslösen, sondern depressiven Menschen dabei helfen, sich wieder normal zu fühlen. Manchmal wird auch berichtet, dass grundsätzlich unwirksam seien und allenfalls einen Placebo-Effekt hätten. Auch das ist nicht richtig: Studien belegen, dass sie bei der Behandlung von mittelschweren und schweren Depressionen wirksam sind.

Wer ein Antidepressivum nimmt, kann dennoch die Erfahrung machen, dass ein bestimmtes Antidepressivum nicht hilft. Man kann dann in Absprache mit der Ärztin oder dem Arzt die Dosis erhöhen oder ein anderes Antidepressivum ausprobieren.

Solche Enttäuschungen passieren auch bei Medikamenten gegen andere Erkrankungen. können die Chance erhöhen, dass es einem besser geht – aber keine Garantie dafür geben. Manche Menschen haben so starke Beschwerden, dass allein nicht viel ändern. Es kommt leider auch vor, dass sich Menschen trotz einer Behandlung das Leben nehmen.

Die meisten Betroffenen sehen aber nicht als Wundermittel. Viele haben aus ihrer Erfahrung heraus eine sehr realistische Vorstellung von ihren Möglichkeiten und Grenzen. Sie verstehen eher als Hilfsmittel oder Sicherheitsnetz, auf das sie bei Beschwerden zurückgreifen können: Schließlich würden wohl alle lieber ohne Medikamente auskommen.

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IQWiG-Gesundheitsinformationen sollen helfen, Vor- und Nachteile wichtiger Behandlungsmöglichkeiten und Angebote der Gesundheitsversorgung zu verstehen.

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Aktualisiert am 20. Mai 2020

Nächste geplante Aktualisierung: 2023

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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