Ich weiß, die nächste Episode wird kommen. Und sie wird irgendwann wieder gehen

Foto von Mann mit nächtlicher Kopfschmerzattacke

Uwe, 53 Jahre

„Ich war beim Augenarzt, Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Zahnarzt. Mir wurde ein Zahn gezogen, dann wurde ein Tumor vermutet, später dachten sie an AIDS. Das wurde alles ausgeschlossen. Aber ich wusste immer noch nicht, was ich habe.“

Die ersten Kopfschmerzattacken hatte ich beim Fernsehen. Da war ich Anfang 30. Beim ersten Mal hatte ich keine Angst. Ich dachte, es wäre eine einmalige Sache. Ich hatte dann auch wochenlang Ruhe. Aber dann kam die nächste Episode.

Die ersten Episoden waren nur kurz, mal zwei oder drei Attacken und dann war wieder Ruhe. Die ersten Episoden traten typisch im Frühjahr oder Herbst auf. Die Abstände wurden jedoch mit der Zeit immer kürzer. Ich bin dann zum Arzt gegangen, weil ich wissen wollte, was das war.

Die Schmerzen fühlen sich wie heiße Nadeln an, die in den Kopf stechen. Das ist zum Durchdrehen. Das kann sich niemand vorstellen. Das machte mir Angst.

Diagnose nach Fernsehbericht

Ich war beim Augenarzt, beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt und beim Zahnarzt. Mir wurde ein Zahn gezogen, weil der Arzt dachte, dass das die Ursache wäre. Aber die Attacken blieben. Dann wurde ein Tumor vermutet, später dachten sie an AIDS. Das wurde jedoch alles ausgeschlossen. Aber ich wusste immer noch nicht, was ich habe.

Meine Mutter hat irgendwann durch Zufall einen Fernsehbericht über einen Patienten gesehen, der dieselben Symptome hatte. Am nächsten Tag bin ich ins hiesige Klinikum zu einem Neurologen gegangen, um das zu prüfen. Er hat die sofort gestellt.

Ich bin gleich stationär aufgenommen worden, um mich auf die Medikamente einzustellen. Damit bin ich erstmal gut klargekommen.

Attacken wurden stärker

Dann wurden die Attacken in den Episoden schlimmer. Irgendwann habe ich jede Nacht etwa um 0.30 Uhr eine Attacke bekommen. Mein Vater musste mich sehr oft nachts ins Krankenhaus fahren und morgens wieder abholen. Ich hatte damals nur kleine Sauerstoffflaschen zur Behandlung der Attacken zu Hause, so groß wie Taucherflaschen. Das war aber zu wenig für mich, so hatte ich oft nicht genug Sauerstoff da und musste dann ins Krankenhaus. Dort habe ich eine bekommen, danach ging es wieder.

Später habe ich große Sauerstoffflaschen bekommen und auch andere Medikamente. Damit kam ich besser klar.

Ich bin Episodiker

Mit der Zeit nahmen die Episoden unglaubliche Ausmaße an: Eine Episode dauerte zum Beispiel drei Jahre, mit Attacken an jedem Tag. Dann habe ich etwa 5 bis 6 Flaschen Sauerstoff pro Woche verbraucht. Und irgendwann war es vorbei und ich hatte wieder Ruhe. Dann hatte ich noch mal so eine lange Attacke, aber die letzte dauerte nur ein paar Monate an.

Ich bin ein Episodiker. Das bedeutet, dass ich immer wieder längere Zeiten frei von Kopfschmerzen bin, bis irgendwann eine neue Episode einsetzt. Die Episoden kommen unregelmäßig – das heißt, die kopfschmerzfreien Zeiten sind unterschiedlich lang.

Alkohol als Auslöser

Bei mir ist es unklar, was die einzelnen Episoden auslöst. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass Alkohol ein bei mir ist. Alkohol in jeder Form, auch als Praline. Einmal waren wir essen und es gab Fisch in Weißweinsoße. Daraufhin musste ich ins Krankenhaus.

Ich habe vieles ausprobiert

Ich habe zu Beginn Nasenspray bei den Attacken ausprobiert, aber das ging gar nicht. Ich fand es sehr unangenehm. Ich habe dann ein anderes Spray bekommen, das ich unterwegs für den Notfall dabei habe.

Aber ich nutze soweit möglich Sauerstoff. Der wirkt immer bei mir. Ich habe meist drei Flaschen in Gebrauch: eine im Betrieb und zwei für Notfälle. Der Sauerstoff wirkt sehr schnell. In etwa zehn Minuten sind die Schmerzen weg. Da mache ich mir keine Sorgen. Ich weiß, er hilft mir.

Zwischendurch habe ich auch andere Ansätze ausprobiert, zum Beispiel eine Behandlung in einem Naturheilkundekrankenhaus. Bis auf den Sauerstoff und das Nasenspray hat aber alles nichts geholfen.

Ich finde es wichtig, zu einem Kopfschmerzexperten zu gehen. Mittlerweile gibt es ja Ärzte und Kliniken, die darauf spezialisiert sind. Die Erkrankung ist nach wie vor noch relativ unbekannt, selbst unter Ärzten.

Für mich ist auch die Selbsthilfe sehr wichtig. Dieses Gefühl, dass man damit nicht allein auf der Welt ist, und der Austausch mit anderen tun mir gut.

Die Episoden kommen und gehen

Wenn ich kopfschmerzfrei bin, weiß ich, die nächste Episode wird kommen. Und sie wird irgendwann wieder gehen. Das wird so bleiben, und damit kann ich leben.

Mittlerweile ist es wesentlich stressfreier für mich geworden. Am Anfang hat mich die Unsicherheit sehr belastet: Wann geht das vorbei? Solche Gedanken mache ich mir nicht mehr. Die Episode kann bei mir drei Monate dauern, ein Jahr oder länger. Das weiß ich nicht. Darüber denke ich nicht mehr nach.

Das Leben ist eingeschränkt

Die Erkrankung ist schon sehr einschränkend. Zum Beispiel ist es mühsam, immer die ganzen Medikamente und die Sauerstoffflaschen mitzuschleppen, wenn man in den Urlaub fährt oder sonst auf Reisen ist.

Die Belastung durch die Erkrankung wirkt sich auch auf die Beziehungen aus. Manche meiner Beziehungen sind daran zerbrochen.

Ich hatte lange Zeit einen sehr verständnisvollen Arbeitgeber. Wenn ich mal tagsüber Attacken hatte, konnte ich mich ins Auto setzen und etwas schlafen. Wenn ich nachts eine Attacke hatte, bin ich oft etwa zwei Stunden später zur Arbeit gefahren. Wenn es möglich war, habe ich auch stundenmäßig weniger gearbeitet. Ich hatte immer viele Überstunden, die ich dann abbauen konnte. Wenn es aber gar nicht mehr ging, ließ ich mich krankschreiben. Das war ein super Arbeitsklima! Später wurde die Firma verkauft und es war schwierig für mich, einen neuen Job zu finden.

Dadurch, dass ich die Attacken in der Regel nachts habe, bin ich nachts wach und schlafe am Morgen. Und weil man nicht weiß, wie lange eine Episode dauert, kann man ja nicht sagen, wann man wieder regelmäßig arbeiten kann und wann man wieder ausfällt. Zwischen den Episoden geht das ganz normal, aber dann fehlt man wieder für ein halbes Jahr oder länger wegen Kopfschmerzen. Das ist einfach frustrierend.

Nachdem es so schwierig war, eine neue Arbeit zu finden, hat mir meine Ärztin dann vorgeschlagen, eine Rente zu beantragen. Das hat auch relativ schnell geklappt und ich bin jetzt Rentner.

Seitdem hatte ich drei lange Episoden über je fast 1,5 Jahre. Vor zwei Jahren hatte ich die letzte schwere Attacke. Seitdem habe ich Ruhe.

Leben mit den Kopfschmerzen

Mein Umfeld hat sich gut auf meine Erkrankung eingestellt. Für mich war es wichtig, offen mit der Erkrankung umzugehen, innerhalb der Familie, dem Freundeskreis und Sportverein. Für mich war es dann viel einfacher. Ich musste mich vor niemandem verstecken. Sicher ist das nicht immer leicht. Wenn es hart auf hart kommt, muss man sich einfach auch von Leuten trennen, die kein Interesse haben oder die Einschränkungen durch die Erkrankung nicht akzeptieren können.

Ich bin in einem Sportverein und war auch viele Jahre lang dessen Vorsitzender. Als die Krankheit schwerer wurde, wollte ich eigentlich zurücktreten. Die Mitglieder wollten aber, dass ich weitermache. Wir haben den Verein dann etwas umorganisiert, so dass ich den Verein nun trotz meiner Erkrankung weiter leiten kann.

Das Leben mit der Unsicherheit und den Einschränkungen ist schon frustrierend. Ich kann nie fest zusagen, ob ich zu einer Party komme oder nicht. Das ist weder für die Planenden noch für mich angenehm. Langfristig zu planen geht einfach nicht, da ich nicht weiß, wann die nächste Episode kommt.

Ich versuche heute, die schmerzfreie Zeit mehr zu genießen. Ich mache dann viel Nordic . Ich spiele Schach, ich habe mein Haus und meinen Garten. Und ich habe einen aktiven Freundeskreis und gute Beziehungen zu meinen Nachbarn. Ich habe großes Verständnis in meinem Umfeld. Da habe ich großes Glück. Wenn ich eine Attacke habe, dann lässt man mich in Ruhe. Das läuft super.

Da ist es auch nicht schlimm, dass ich jetzt nicht mehr so viel reisen kann. Die letzten Jahre war ich immer noch im Ausland zu Turnieren mit dem Verein. Da war die Sauerstoffflasche immer dabei. Geflogen bin ich aber seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Das vermisse ich aber auch irgendwie nicht. Ich habe mich darauf eingestellt, nicht mehr so viel zu reisen. Es ist wie es ist.

Es dauert eine Weile, bis man selber und auch die Angehörigen akzeptieren können, dass ich diese Erkrankung habe und nicht geheilt werden kann. Wenn man sich dann damit auseinandergesetzt hat und es angenommen hat, dann organisiert man sein Leben ein wenig um. Man kann auch mit dieser Erkrankung leben.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Aktualisiert am 13. Juli 2022

Nächste geplante Aktualisierung: 2025

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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