Diese wahnsinnigen Schmerzen machen gereizt und aggressiv bis hin zur Verzweiflung

Foto eines Mannes

Ralf, 61 Jahre

„Ich wünsche mir, dass nicht mehr so viele Betroffene ohne Diagnose bleiben und leiden. Der Cluster-Kopfschmerz ist sehr markant und gut zu erkennen, wenn man darüber Bescheid weiß.“

Angefangen hat alles vor 26 Jahren, da war ich 35 Jahre alt und arbeitete als LKW-Fahrer im Fernverkehr – immer dieselbe Route nach Spanien, Portugal und zurück. Es war früher Herbst. Ich bekam nachts Kopfschmerzen, wurde wach und nahm eine Schmerztablette. Nach einer Stunde waren die Schmerzen weg und ich konnte weiterschlafen.

Es dauerte aber nicht lange und die Tabletten wirkten nicht mehr. Trotzdem bin ich nicht sofort zu Ärzten gegangen, weil ich oft unterwegs war und dachte, es gibt sich wieder. Irgendwann wollte ich es aber abklären lassen, leider ohne Ergebnis.

Über drei Jahre war ich bei mehreren Ärzten: Hausärzte, Internisten, HNO-Ärzte, Zahnärzte und noch viel mehr. Eines Tages war eine Kopfschmerzattacke so schlimm, dass ich nicht mehr mit dem LKW weiterfahren konnte. Ich musste meinen Chef anrufen und um eine Ablösung bitten. Da wusste ich, das ist ernst.

Erst der Gang zum Neurologen brachte Klarheit

Ich bin direkt am nächsten Tag ohne Termin zu einer neurologischen Praxis gegangen und habe mich als Notfall angemeldet. Dort wurde die wegen der typischen Beschwerden sofort gestellt: „Sie haben eindeutig Cluster-Kopfschmerzen“ – das waren die Worte des Neurologen.

Im Nachhinein war es ein großes Glück, dass ich relativ schnell die bekam. Es gibt andere Betroffene, die eine noch viel längere Odyssee hinter sich haben.

Die Kopfschmerz-Attacken verlaufen oft gleich

Die Schmerzen betreffen immer nur die linke Seite. Wenn sich eine Attacke ankündigt, merke ich es an einem Ziehen im Oberkiefer. Dann wandert der Schmerz innerhalb von 3, 4 Minuten langsam über die Schläfe bis hinter das Auge und ist dann voll da: ein heftiges Stechen und Brennen hinter dem Auge, das Lid hängt herunter, das Auge tränt, die Nase läuft und die komplette linke Gesichtshälfte ist angeschwollen.

Diese wahnsinnigen Schmerzen sind kaum auszuhalten. Die Hilflosigkeit und Ohnmacht machen einen gereizt und aggressiv bis hin zur Verzweiflung.

Schließlich wandert der Schmerz langsam vom Auge über die Nasenwurzel zum Oberkiefer und ebbt langsam ab. Ohne Medikamente dauern die Attacken bei mir ungefähr 30 Minuten. Danach bin ich richtig platt und fühle mich wie nach einem 5000-Meter-Lauf mit schwerem Gepäck.

Die Häufigkeit der Anfälle schwankt

In der aktiven Phase kommen die Anfälle bei mir unregelmäßig und sind nicht vorhersehbar: Manchmal habe ich 5 Stück in einer Woche, aber auch mal 6 Attacken an einem Tag. Auch die Tageszeit schwankt: sowohl tagsüber als auch nachts.

Ich hatte anfangs immer im Frühjahr und im Herbst jeweils 6 bis 8 Wochen lang Attacken und dann für den Rest des Jahres Ruhe. Nach ein paar Jahren hat es sich verschoben: Die Anfälle kamen kurz vor Weihnachten und hielten mehrere Monate an – meist bis Ostern. Dafür kamen sie seltener.

Aktuell habe ich seit eineinhalb Jahren Ruhe. Dafür war die Episode vorher sehr lang: fast zwei Jahre! Ich hatte fast schon Angst, dass es bei mir in eine chronische Form übergeht und ich durchgehend Schmerzattacken haben werde.

Die Behandlung schlug zuerst nicht an

Der erste Neurologe verschrieb mir Sauerstoff, den ich über eine Maske zu Beginn eines Schmerzanfalls einatmen sollte. Aber das hatte leider keinen großen Effekt. Erst später habe ich verstanden, dass es an der Sauerstoffflasche lag: Um wirken zu können, muss viel Sauerstoff über eine kurze Zeit schnell eingeatmet werden.

Außerdem bekam ich ein Migränemittel, das ich mir in den Oberschenkel oder in die Bauchfalte spritzen sollte. Aber auch das wirkte leider nicht gut. In der Selbsthilfegruppe bekam ich den Tipp, die Spritze direkt in den Oberarm statt in Oberschenkel oder Bauch zu setzen. Das war sehr effektiv, die Schmerzen waren so nach drei Minuten weg.

Ich habe immer eine Sauerstoffflasche neben dem Bett stehen

Die Behandlung mit Sauerstoff habe ich im Laufe der Jahre optimiert. Man braucht eine dichte Maske mit Silikonabdichtung und einem gesonderten Einlass- und Auslassventil. Außerdem eine ausreichend große Sauerstoffflasche, die viel Gas auf einmal abgibt – 12 bis 15 Liter pro Minute sollten es schon sein. Beides kann man bei der Krankenkasse beantragen.

Wichtig ist auch, ruhig zu bleiben, tief und gleichmäßig zu atmen und den Sauerstoff direkt am Anfang eines Anfalls zu nehmen. Ich habe deswegen die Sauerstoffflasche immer neben dem Bett stehen.

Außerdem hilft bei mir der Sauerstoff nur, wenn ich im Liegen inhaliere. Normalerweise wird empfohlen, den Sauerstoff mit nach vorne gebeugtem Oberkörper im Sitzen oder Stehen einzuatmen. Aber ich kenne einige Mitbetroffene, die so wie ich nur im Liegen Linderung erfahren. Man muss also immer wieder testen, welche Variante einem selbst hilft.

Bei den vorbeugenden Medikamenten hat die Optimierung eine Zeit gedauert

Zusätzlich bekam ich Medikamente, die den Anfällen vorbeugen sollten. Zu Beginn habe ich fast zwei Jahre lang genommen. Es hat mir geholfen, aber zu einem hohen Preis mit vielen Nebenwirkungen: Ich hatte Probleme mit Haut, Muskeln und Knochen und habe sehr stark zugenommen. Auch mein Kreislauf war nicht stabil.

Deswegen wurden die Medikamente in einer Kopfschmerzklinik umgestellt: das raus, dafür Verapamil und Lithium rein. Mit der Kombination geht es mir besser als vorher, da sie weniger Nebenwirkungen hat. Bei den vorbeugenden Medikamenten ist es wichtig, sie immer genau zur selben Uhrzeit einzunehmen – und daran zu denken, dass es 3 bis 4 Wochen dauert, bis die Häufigkeit der Attacken und die Schmerzintensität abnehmen.

Koffein, Kälte, kein Alkohol: Bei jedem und jeder hilft etwas anderes

Auch wenn es gut ist, in der Selbsthilfegruppe Erfahrungen und Tipps auszutauschen: Es gibt leider kein Patentrezept. Es gilt wirklich, auszuprobieren und individuell für sich zu entdecken, was hilft – denn jeder Cluster ist anders.

Durch meinen Beruf als Fahrer habe ich schon früher nur gelegentlich Wein oder Likör getrunken. Während einer Cluster-Phase ist Alkohol bei mir aber einer der größten Auslöser und . Deswegen lasse ich in dieser Zeit den Alkohol vollständig weg, was eine deutliche Besserung gebracht hat.

Ich habe auch versucht, einige Lebensmittel wegzulassen, zum Beispiel Bananen. Das hatte leider keinen Effekt.

Als ich während einer Cluster-Phase mit dem Rauchen aufgehört habe, wurde es erst viel schlimmer – nach ein paar Wochen aber deutlich besser. Ob durch das Aufhören oder ob es zeitlich zufällig zusammenkam, kann ich nicht sagen.

Anderen hilft ein extrem starker Espresso, Kältekompressen auf die Schläfe – oder das Gegenteil: sich unter die heiße Dusche zu stellen. Manche berichten auch, dass ihnen Cannabis hilft – ob es am Wirkstoff liegt oder daran, dass ihnen dann alles egal ist, weiß ich nicht.

Ein Kopfschmerztagebuch kann helfen, Auslöser zu entdecken

Für mich ist das A und O beim Cluster das Kopfschmerztagebuch. Das ist das erste und das Wichtigste, was man als Kopfschmerzpatient machen sollte, finde ich. Auch wenn viel Selbstdisziplin nötig ist, um wirklich jeden Tag Buch zu führen. Aber es lohnt sich.

So komme ich meinen persönlichen Auslösern für die Attacken auf die Spur und kann sie vermeiden. Und ich kann sehen, ob sich eine Episode ankündigt oder gerade langsam abebbt. Oder ob es einen bestimmten Rhythmus gibt, eine Abhängigkeit von Jahreszeiten und noch vieles mehr.

Auch für den Arztbesuch ist es toll, etwas Schriftliches als Grundlage zu haben.

Mein Arbeitgeber ist zum Glück flexibel

Mit meinem Arbeitgeber habe ich Glück, er hat viel Verständnis für mich. Ich habe die Möglichkeit, in gesunden Zeiten Überstunden aufzubauen. Und wenn eine neue Episode mit vielen Attacken beginnt, kann ich kürzertreten und die Überstunden abbauen. So konnte ich bisher das Krankengeld umgehen und hatte nie finanzielle Probleme.

Ein Cluster-Kopfschmerz ist gut zu erkennen

Ich wünsche mir, dass nicht mehr so viele Betroffene so lange ohne bleiben und leiden. Der Cluster-Kopfschmerz ist ja eigentlich sehr markant und gut zu erkennen, wenn man darüber Bescheid weiß.

Die Anzeichen sind eindeutig: Heftigste Schmerzen, immer einseitig, begleitet von Augentränen und Schnupfen auf derselben Seite, die Anfälle dauern 30 Minuten bis 3 Stunden und häufen sich in bestimmten Phasen. Wenn sie von solchen Beschwerden hören, müssten viele Haus- und Allgemeinärzte eigentlich direkt schalten. Aber es gibt sogar Neurologen, die dann nicht sofort an Cluster denken.

Wichtig sind auch Apotheken, denn dort landen viele Betroffene zuerst und besorgen sich rezeptfreie Schmerzmittel. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Apothekerinnen und Apotheker sensibilisiert sind, bei Verdacht nachfragen und die Menschen direkt zum Neurologen schicken.

Heute fühle ich mich gut vorbereitet auf den Schmerz

Mittlerweile fühle ich mich gut gerüstet und sehr erfahren mit der Erkrankung. Auch wenn die Zeit während einer Episode nicht einfach ist: Man steht unter Strom und weiß nie, wann die nächste Attacke kommt.

Meine Strategie ist, aktiv zu sein und mich auf den Schmerz vorzubereiten: vorbeugende Medikamente regelmäßig einzunehmen, für den Akutfall genug Sauerstoff und Spritzen vorrätig zu haben, mich mental vorzubereiten – und im Anfall die Kontrolle zu behalten und den „Schweinehund“ zu akzeptieren.

Diese Kombination hilft mir zu denken: „Ich lasse mir von dem Cluster nicht mein Leben bestimmen, sondern ich bestimme den Cluster – ganz einfach.“

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Über diese Seite

Erstellt am 28. Mai 2025

Nächste geplante Aktualisierung: 2028

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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