Ein starker Auslöser für Attacken sind bei mir Lösungsmittel in Kleber

Porträtfoto einer Frau

Lilith, 54 Jahre

„Diese Erkrankung ist fürchterlich, grausam, einfach qualvoll und elendig – und dabei absolut unbekannt. Das Gute daran: Ist die Episode vorbei, erholt man sich und lebt sein normales Leben, als wäre nichts gewesen.“

An meinen ersten Cluster-Kopfschmerzanfall erinnere ich mich genau: Ich war erst zwölf Jahre alt, wir waren mit der ganzen Familie in einem Freizeitpark. Es war aufregend, ich habe mich gefreut und viel gelacht.

Kurz nachdem wir wieder zu Hause waren, fing es an: Eine große Unruhe erfasste mich, ich bewegte mich viel, schüttelte den Kopf hin und her, schlug mit den Händen darauf und schrie wie am Spieß. Der Schmerz war grausam und qualvoll.

Meine Mutter hatte ihr Leben lang Migräne und dachte, ich hätte dasselbe. Sie gab mir die Tipps, die auch ihr halfen: Licht aus, Vorhänge zu, ins Bett legen und kalte Umschläge auf die Stirn. Aber nichts half. Es passte auch nicht richtig: Bei Migräne ist man ja eher ruhig und will sich kaum bewegen.

Es dauerte 17 Jahre bis zur Diagnose

Meine Mutter war ratlos. Ihr war nicht klar, dass es so etwas wie Cluster-Kopfschmerzen gab. Und wie sich herausstellen sollte, auch vielen anderen nicht – einschließlich den Ärzten.

Bis der Cluster erkannt wurde, dauerte es unglaublich lange: Vom ersten Anfall bis zur vergingen 17 Jahre. Die Beschwerden und die verschiedenen Behandlungen waren so qualvoll, dass ich immer weitergesucht habe: Ich schluckte stärkste Schmerzmittel und erhielt Spritzen mit einem lokalen Betäubungsmittel in den Halswirbelbereich und um das rechte Auge herum. Als ich eine Lehre zur Maßschuhmacherin anfing, wurde es noch wichtiger: Ich wollte Linderung, um arbeiten zu können.

Starke Schmerzmittel, Akupunktur, Heilpraktiker – nichts half

Es war ein langer Leidensweg. Ich war bei vielen Ärzten, habe Heilpraktiker konsultiert, versucht – sogar beim Dalai Lama habe ich vorgesprochen. In meiner Verzweiflung habe ich nach jedem Strohhalm gegriffen und verlor viel Geld. Linderung gab es aber nicht.

Mein Hausarzt war wirklich mitfühlend, er gab mir stärkste Schmerzmittel, erkannte aber nicht, was es war. Ich suchte weiter und ging zu einem Neurologen, der mir aber nicht glaubte: „Mehr als acht Attacken pro Tag, das gibt es nicht. Sie haben Migräne und sonst nichts.“ Er hat mich als Lügnerin und Simulantin bezeichnet, ich würde alles erfinden. Es war richtig traumatisierend für mich. Als ich aus der Praxis ging, bin ich zusammengebrochen und habe nur geweint.

Ich weiß nicht, ob Cluster damals – es war Mitte der 1990er Jahre – noch nicht so bekannt war. Spannungskopfschmerz oder Migräne kennen viele. Dass Cluster-Kopfschmerzen aber tausendmal qualvoller und unberechenbarer sind, ist vielen nicht klar.

Schmerzen wie Nadelstiche einer Nähmaschine

Kurz vor einer Attacke wird mein rechtes Auge rot. Dann weiß ich, dass bald eine neue Schmerzattacke bevorsteht: brutalste Schmerzen auf der rechten Seite, wie Nadel- oder Messerstiche, die mir jemand von hinten ins Auge und in die Schläfe rammt.

Die Stiche folgen dabei viele Male hintereinander innerhalb von Bruchteilen von Sekunden – wie die Nadel einer Nähmaschine. Es ist so grausam, dass ich mir am liebsten den Augapfel herausreißen würde. Gleichzeitig werde ich um den Mund herum sehr blass, habe Schweißausbrüche, starken Schwindel und bin sehr empfindlich gegenüber Geräuschen und Licht.

Bei einer sehr starken Attacke breiten sich die Schmerzen auf die komplette rechte Körperseite aus: Kiefer, Hals und der Arm fühlen sich wie gelähmt an und der Arm zuckt.

Zu Beginn hatte ich die episodische Form, das heißt, immer im Frühjahr drei Monate lang gehäuft. Daher auch der Name „Cluster“, das ist Englisch für „Anhäufung“. Im ersten Monat steigerte sich die Häufigkeit der Anfälle von Woche zu Woche auf bis zu zehn Stück pro Tag. Gleichzeitig wurde der Schmerz immer intensiver. Im dritten Monat ebbten die Schmerzanfälle langsam wieder ab. Den Rest des Jahres hatte ich Ruhe und lebte, als wäre nie etwas gewesen.

Ich habe nie aufgegeben

Viele Menschen in meiner Umgebung haben mir gesagt, dass ich mein Schicksal akzeptieren und mit der Suche aufhören solle. Aber ich habe nie aufgegeben. Zum Glück hatte ich genug Selbstbewusstsein und Stärke, um weiterzumachen.

Und ein zweiter Neurologe hatte den richtigen Riecher. Er hatte sofort den Verdacht, dass es ein Cluster-Kopfschmerz sein könnte. Ich sollte beim nächsten Anfall direkt in die Klinik gehen und mir Sauerstoff geben lassen. Wenn das helfen würde, wäre es die Bestätigung. Und tatsächlich half der Sauerstoff.

Aus der episodischen Form wurde ein chronischer Cluster

Auch wenn die endlich bekannt war, hatte ich immer noch keine Ärzte gefunden, die sich in der Versorgung von Menschen mit Cluster-Kopfschmerzen auskannten. Meine Hausärztin verschrieb mir zwar das vorbeugende Medikament Verapamil, begleitete mich aber nicht wirklich.

Ich nahm das Medikament ein, sobald sich eine neue Phase ankündigte. Zusätzlich half mir während einer Attacke die Inhalation von reinem Sauerstoff. Sobald es mir wieder gut ging, setzte ich das Verapamil ab – wahrscheinlich aber zu schnell. Denn im Anschluss begann eine erneute Attacke, die ich mit einer noch höheren Dosis Verapamil behandelte. So geriet ich in einen Teufelskreislauf. Obwohl ich so viele Medikamente nahm, litt ich unter Dauer-Attacken – der Cluster-Kopfschmerz war mittlerweile chronisch.

Erst Jahre später nach dem Umzug in eine andere Stadt fand ich einen Arzt in einem Schmerz- und Palliativzentrum, der sich in der Behandlung von Cluster-Kopfschmerzen auskannte.

Die Cluster-Anfälle belasteten mich zunehmend

Worauf ich nicht vorbereitet war: Die immer wiederkehrenden Cluster-Attacken waren zermürbend und setzten mir psychisch zu. Ich hatte in den Cluster-Phasen sehr oft Panikattacken, kämpfte und versuchte durchzuhalten. Das geht vielen Betroffenen so: Die Attacken sind so brutal und heftig und man fühlt sich so ausgeliefert, dass man nicht mehr weiterweiß und sogar an Suizid denkt.

Als es mir damals so schlecht ging, drängte mich irgendwann meine behandelnde Schmerz-Ärztin vom Palliativzentrum, in die Klinik zu gehen. Ich wollte aber nicht. Bis sie mir schließlich die Pistole auf die Brust setzte: „Wenn Sie sich nicht stationär aufnehmen lassen, verschreibe ich Ihnen keine Medikamente und keinen Sauerstoff mehr.“ Das wirkte. Ich ging in die Klinik, bekam Verapamil und in hoher Dosierung und tatsächlich ebbten die täglichen Kopfschmerzattacken langsam ab.

Leider ging es mir im Laufe des Aufenthalts in der Klinik psychisch immer schlechter. Ich konnte nicht mehr schlafen, war aufgedreht und sprach nur noch in Reimen. Ich glitt in eine Art Psychose – sehr wahrscheinlich unter anderem eine Folge der hochdosierten Kortison-Therapie.

In meinem Wahn traf ich Entscheidungen, die ich später sehr bereute: wertvolle Sachen aus meiner Werkstatt verkaufen, meine Wohnung aufgeben und zu einem Freund ziehen und nichts mehr mit Schuhen und meinem Beruf zu tun haben wollen. Ich ahnte, dass etwas mit mir nicht stimmte, und schämte mich, konnte aber nichts dagegen tun.

In der Reha wurde die Depression erfolgreich behandelt

Nach der Entlassung erschrak meine Ärztin über meinen Zustand und empfahl mir dringend, mich in psychologische Behandlung zu begeben. Auch körperlich ging es mir nicht gut: Meine Hände zitterten, ich war erschöpft und konnte mich nicht mehr konzentrieren.

Durch das war meine Haut sehr dünn, die Haare fielen aus und ich hatte Ekzeme überall am Körper. Ich hatte zugenommen und das typische Mondgesicht bei einer hochdosierten Kortison-Behandlung. Ich fühlte mich wirklich wie ein „Freak“ und ging nur noch mit Sonnenbrille und Mütze raus, damit mich keiner erkannte.

Nach dem Absetzen des Kortisons hatte ich lange körperliche Entzugsschmerzen und bekam starke Depressionen – allerdings ohne es selbst zu bemerken. In einer sechswöchigen Reha, die folgte, begann ich eine Psychotherapie und erfuhr viel über Depressionen. Ich hatte vorher nicht verstanden, warum ich nur auf dem Sofa saß, nicht mehr lachen und weinen und mich zu nichts mehr motivieren konnte.

Glücklicherweise hatte ich große Unterstützung durch Ärzte, Familie und Freunde und habe auch diese Phase überwunden – auch, weil ich es selbst schaffen wollte.

Wetterwechsel, Alkohol und Stress waren Auslöser bei mir

Einige Faktoren waren klare Auslöser von Cluster-Attacken: Wetterwechsel vor allem im Frühjahr, Alkohol und emotionaler Stress. Als mein Partner und ich uns getrennt hatten und er später sehr jung an einem starb, hatte ich fast täglich Attacken – und der Schmerz war um ein Zehnfaches intensiver.

Auch die Ernährung beeinflusste die Kopfschmerzen

Was auch ein wichtiger Auslöser war: Lebensmittel mit viel wie reifer Käse oder Tomaten. Vom möglichen Zusammenhang zwischen histaminreichen Nahrungsmitteln und Cluster-Kopfschmerzen erfuhr ich aus dem Magazin der Selbsthilfegruppe. Ich konnte erst nicht glauben, dass etwas so Banales wie die Ernährung einen Effekt auf diese grausame Erkrankung hat. Da ich aber so verzweifelt war und wieder kurz vor einer Krankenhauseinweisung stand, probierte ich es. Ich hatte ja nichts zu verlieren.

Ich startete damit, Cluster-Anfälle sogar zu provozieren: Ich schmierte mir den leckeren Brie-Käse, den ich so gerne mochte, richtig dick aufs Brot – und bekam kurz darauf tatsächlich einen heftigen Cluster-Anfall. So testete ich weitere mögliche Lebensmittel wie Tomaten, Thunfisch, Nüsse und Salami und schaute, was ich vertrug und was nicht.

Durch die Umstellung spürte ich sehr schnell einen Effekt: Nach nur einer Woche gingen die Cluster-Attacken von 10 täglich auf 5 in der Woche zurück. Mir wäre viel unnötiges Leid erspart geblieben, wenn ich das früher gewusst hätte.

Ich konnte meinen Beruf lange nicht mehr ausüben

Ein ganz starker Auslöser, den ich vor acht Jahren ausfindig gemacht habe, sind Lösungsmittel in Kleber. Ich bin selbst darauf gekommen, indem ich alle Situationen in meinem Alltag analysiert und mich gefragt habe, was die Anfälle auslösen könnte.

In meinem Beruf als Maßschuhmacherin saß ich stundenlang in der Werkstatt und atmete Lösungsmittel ein, wenn ich Schuhe klebte. Ich befand mich unwissentlich in einem Teufelskreis: Weil ich immer wieder ausfiel, arbeitete ich in den Zeiten dazwischen noch härter, damit ich mehr Einnahmen hatte. Und setzte mich wieder dem aus, der gleich die nächste Attacke auslöste. Ich war schließlich so beeinträchtigt, dass ich einen Schwerbehinderten-Status bekam.

Das intensive Eintauchen in die Kunst war für mich heilend

Mir ging es in dieser Zeit nicht gut, ich musste meine Selbstständigkeit aufgeben und konnte nicht arbeiten. Um näher an meiner Familie zu sein, zog ich in meine Heimatstadt zurück. In dieser Zeit hing ich immer noch sehr in der Luft.

Intuitiv hatte ich mich sehr viel mit Kunst beschäftigt, Zeichenkurse genommen und mich in Radierungen ausprobiert. Mich mit etwas Schönem und Kreativem zu beschäftigen, hat mich beruhigt und mir viele positive Gefühle vermittelt. Ich erwog sogar eine Umschulung zur Arbeitspädagogin mit Schwerpunkt künstlerische Tätigkeiten.

Seit zwei Jahren arbeite ich wieder als selbstständige Schuhmacherin

Dann dachte ich wieder an meinen alten Beruf und fing an, mich mit wasserlöslichen Klebern zu beschäftigen. Nach einiger Zeit fand ich den richtigen Kleber, der auch hielt und gleichzeitig keine Cluster-Attacken bei mir auslöste.

Nach und nach begann ich, Taschen und Rucksäcke aus Hanf, später auch kleine Lederwaren wie Taschen, Gürtel und Schlüsselbänder herzustellen – alles auf Basis wasserlöslicher Leime. Zunächst arbeitete ich in meiner Wohnung, später richtete ich mir eine kleine Werkstatt ein.

Mittlerweile fertige ich auch wieder Lederschuhe an und setze für die wenigen Arbeiten mit lösungsmittelhaltigem Kleber eine Gasmaske auf. Heute kommen viele Kunden zu mir, die nachhaltige Schuhe und Taschen ohne Chemikalien und Ausdünstungen wollen. Das ist mittlerweile sogar richtig gefragt.

Die Selbsthilfegruppe hat mich gestärkt

Zur Selbsthilfe bin ich über meinen Arzt gekommen. Die Gruppe hat mich sehr gestützt. Es war so erlösend: Ich konnte das erste Mal in meinem Leben mit anderen Betroffenen reden, die genau wussten, wovon ich sprach. Wir haben uns ausgetauscht, ich bekam viele Tipps und in schweren Phasen Mut und Kraft, um durchzuhalten.

Ich muss aber zugeben, dass es mir irgendwann zu anstrengend wurde. Es waren eben alles Menschen, denen es schlecht ging, die viel mit sich beschäftigt waren und nicht immer den anderen zuhörten. Aber die organisierten überregionalen Treffen waren sehr wertvoll. Es gab Vorträge mit Ärzten, die sich spezialisiert hatten und uns von den neuesten Erkenntnissen berichteten.

Erholung und das Vermeiden von Auslösern halfen

Da es mir viel besser ging, versuchte ich, das vorbeugende Medikament Verapamil abzusetzen, da ich den starken Verdacht hatte, dass es mir nicht guttat. Es war aber sehr mühsam: Immer, wenn ich zu schnell reduzierte, kam der Cluster-Kopfschmerz zurück und ich musste nach einem Anfall sogar mit einer höheren Dosierung wieder einsteigen. Ein Teufelskreis.

Ich ließ mich auch bei einem Mediziner mit Schwerpunkt Naturheilkunde behandeln, nahm Curcumin ein und bekam Vitamin-Infusionen. <Anmerkung der Redaktion: Die Wirkung ist wissenschaftlich nicht erwiesen> Ich versuchte, so gesund wie möglich zu leben, achtete auf genug Schlaf, einen regelmäßigen Tagesablauf, eine gesunde Ernährung und ging viel an der frischen Luft spazieren.

Sich nicht unterkriegen lassen

Nach einiger Zeit konnte ich das Verapamil schrittweise reduzieren und schließlich absetzen. Seit sechs Jahren bin ich absolut clusterfrei, vor acht Jahren hatte ich den letzten heftigen Anfall. Aber es war ein harter Leidensweg und vieles wäre vermeidbar gewesen.

Was ich auf jeden Fall allen Betroffenen mitgeben möchte, ist, sich niemals unterkriegen zu lassen. Immer weitersuchen, wenn es einem nicht gut geht, nach Tipps fragen, die Ärzte wechseln, die Behandlung anpassen, auf das eigene Bauchgefühl hören.

Nach fast vierzig Jahren Erkrankung stehe ich heute wieder im Leben. Und bin sehr glücklich darüber, meinen geliebten Beruf wieder ausüben zu dürfen. Das ist das Schönste, was mir passieren konnte.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Über diese Seite

Erstellt am 28. Mai 2025

Nächste geplante Aktualisierung: 2028

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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