Für mich war die Umstellung wegen des Herzschrittmachers ein großer Einschnitt

Foto von Mann auf dem Fahrrad

Daniel, 72 Jahre

Der Satz „Ich bin herzkrank“ ist für mich sehr schwer zu verinnerlichen. Zu akzeptieren, dass auch ich Grenzen habe. Es hat mich richtig aus dem aktiven Leben rausgehauen.

Vor sechs Jahren war ich mit dem Fahrrad unterwegs, als mir plötzlich schlecht wurde. Ich fühlte mich so wie noch nie in meinem Leben und konnte das nicht einordnen.

Im nächsten Ort ging ich direkt in den nächsten Supermarkt und holte mir eine Tüte Marzipankartoffeln und Multivitaminsaft. Ich dachte, vielleicht läge es ja daran, dass ich nicht genug gegessen oder getrunken hätte.

An der Kasse war mir gar nicht gut, ich dachte: „Daniel, du kippst gleich um, irgendwas stimmt nicht mit dir.“ Beim Rausgehen schwankte ich so, als wäre ich betrunken. Aber Essen und Trinken halfen nicht, auch nicht der Cappuccino und die Cola, die ich mir in der Bäckerei holte. Es wurde und wurde nicht besser.

Mein Herzschlag war extrem langsam

Ich wurde darauf angesprochen, dass ich schrecklich aussähe, und eine Frau, die Krankenschwester war, entschied, dass sie mich sofort ins Krankenhaus bringen würde. Dort konnte ich mich kaum auf den Beinen halten und bekam einen Rollstuhl.

In der Notaufnahme wurde ein EKG gemacht. Und es fiel gleich auf, dass ich einen ganz niedrigen Puls hatte: nur 28 Schläge pro Minute! Kein Wunder, dass mir so schlecht war. Mein Herz schlug extrem langsam, sodass ich bei Anstrengung fast ohnmächtig wurde.

Ich hatte einen AV-Block und bekam sofort einen Herzschrittmacher

Es kam heraus, dass ich einen AV-Block hatte. Das heißt, die Erregungsweiterleitung im Herz ist blockiert und das Herz kann nicht reagieren und schneller schlagen, wenn ich mich anstrenge.

Der Stationsarzt kam zu mir und sagte, dass ich dringend einen brauche, der dafür sorgt, dass ich immer einen Puls von mindestens 60 Schlägen in der Minute habe. Deswegen ging es sehr schnell: Gleich ein paar Tage später wurde mir ein verpasst. Ich kam überhaupt nicht mit.

Auf einmal war es vorbei mit meiner Kraft

Plötzlich herzkrank zu sein, hat mich wirklich umgehauen. Ich war immer ein Haudegen, temperamentvoll und aktiv. Ich bin über 1,80 Meter groß, wiege 120 Kilo und war immer stark und kräftig wie ein Baum.

Und von einem Moment auf den anderen war alles vorbei. Wenn ich 100 Schritte lief, wurde mir schlecht. Ich fühlte mich schwach und rang nach Luft.

Ich habe mein Leben lang gearbeitet und anderen geholfen. Schon als Kind habe ich meinen Eltern in der Kneipe geholfen, später meine Partnerinnen finanziell unterstützt und doppelt so viel gearbeitet, um ein Haus zu finanzieren. Ich war 46 Jahre lang Krankenpfleger in der Psychiatrie und habe Kinder mit Lernschwierigkeiten betreut. Dabei bin ich viel mit den Kindern gelaufen und schwimmen gegangen, habe im Wald Holz gesammelt und gehackt.

Mir ging es psychisch nicht gut

Das, was zu mir gehörte, war alles weg. In der Zeit direkt nach dem Einsetzen des Herzschrittmachers ging es mir seelisch nicht gut. Meine Hausärztin empfahl mir, eine Gesprächstherapie zu machen. Da ich aber mehr als ein Jahr auf den Therapieplatz warten sollte, habe ich mich nicht mehr darum gekümmert.

Ein Jahr später ging es mir noch schlechter – ich war sehr traurig und gleichzeitig unruhig. Deswegen war ich für drei Wochen in einer psychiatrischen Klinik zur Behandlung einer .

Ich fühlte mich sehr seltsam. Nach all den Jahren als Pflegekraft war ich plötzlich selbst Patient – vom aktiven Helfer zu jemandem, der Hilfe brauchte.

Auf elektrische Geräte und Magnete achten – es kam viel Neues

Für mich war es auch ein Schock, worauf ich mit dem Schrittmacher alles achten sollte. Ich bekam Prospekte mit allen möglichen elektrischen Geräten, die ich meiden oder zu denen ich Abstand halten sollte: keine elektrische Zahnbürste benutzen, nicht mehr mit der Kettensäge arbeiten, keine Bohrmaschinen mehr.

Das war für mich ein großer Einschnitt und Verzicht. Ich hatte ja mehrmals pro Woche im Wald mit Holz gearbeitet, was mich unglaublich glücklich gemacht hatte.

Auch in die Sauna sollte ich nicht mehr gehen, obwohl ich die Hitze früher lange ausgehalten und gut vertragen habe. Aber ich habe mich arrangiert: Heute gehe ich in die Bio-Sauna bei moderater Hitze, schwitze etwas und fertig. Das geht auch.

Den ersten Schrittmacher vertrug ich nicht so gut

Beim ersten Schrittmacher hatte ich manchmal Angst, dass das Gerät kaputtgeht. Das lag auch daran, dass ich ihn nicht gut vertrug: Ich hatte regelmäßig Schwindel oder ein komisches Stolpern.

Was mich auch beschäftigte: Kann ich in Ruhe sterben oder schlägt mein Schrittmacher weiter und lässt mein Herz einfach weiter pumpen? Mein Arzt beruhigte mich aber und versicherte, dass der Schrittmacher einen nicht unnötig am Leben hält.

Genauso neu war auch die Befürchtung, dass mein aufhört zu arbeiten, wenn ich einem Magneten zu nah komme. Zum Beispiel, wenn ich aus Versehen einen Gegenstand aufhebe und gar nicht weiß, dass ein Magnet drin ist.

Der Fahrradhelm hatte einen Magnetverschluss – das habe ich gespürt

Ich hatte auch ein Erlebnis mit einem Fahrradhelm, den ich mir neu gekauft hatte: Mir wurde etwas seltsam, als ich ihn zum ersten Mal aufsetzte. Es stellte sich heraus, dass der Helm einen Magnetverschluss hatte – unterm Kinn, keine zehn Zentimeter Luftlinie vom Schrittmacher entfernt. Man muss wirklich immer aufpassen. Ich habe mir dann einen anderen Verschluss einbauen lassen, ohne Magnet.

Das Fahrradfahren ist für mich aber ein Segen. Weil ich sitze, brauche ich meinen schweren Körper nicht zu schleppen, kann mich gut belasten und viel unterwegs sein. Ich bin froh, dass ich noch so mobil sein kann.

Plötzlich traten die früheren Symptome wieder auf

Viereinhalb Jahre nachdem ich den Schrittmacher bekommen hatte, ging es mir plötzlich wieder viel schlechter: Ich konnte nur noch 10, höchstens 20 Schritte machen und bekam dann keine Luft mehr. Ich erschreckte mich sehr und dachte, es liegt am . Es schockierte mich, dass ich die gleichen Beschwerden wie damals vor dem hatte: Ich konnte mich nicht belasten, ohne sofort Luftnot zu haben. Ich hatte sogar Angst, zur Toilette zu gehen.

Eine Nachbarin fuhr mich in die Klinik. Ich war so schwach, dass ich vom Auto nicht mal mehr zu Fuß in die Notaufnahme gehen konnte. Stattdessen wurde ich im Rollstuhl geschoben.

Es war falscher Alarm – ich hatte Blutarmut

Gottseidank hat es sich als falscher Alarm herausgestellt: Der Schrittmacher war in Ordnung. Ich war nur extrem blutarm, weil ich Blutungen im Zwölffingerdarm hatte. Nach zwei Wochen Behandlung ging es mir eigentlich wieder gut.

Leider fing ich mir aber einen Krankenhauskeim ein, der trotz den besiedelte und infizierte. Ich wurde an eine andere Klinik überwiesen, die den alten Schrittmacher entfernte und einen neuen einsetzte.

Der neue ist moderner als der alte: Er hat eine Sonde, die messen kann, ob mein eigener Herzschlag ausreicht oder ob der Schrittmacher arbeiten muss. So soll ich besser Luft bekommen und mich mehr belasten können als vorher. Mit diesem Schrittmacher habe ich auch keine Ängste mehr, weil ich ihn gar nicht mehr bemerke.

Alle sechs Monate gehe ich zum Kardiologen zur Schrittmacher-Kontrolle. Gleichzeitig werden auch mein und die Medikamente überprüft und per Ultraschall die Aorta kontrolliert, die etwas zu weit ist. Bis jetzt ist alles in Ordnung.

Es ist vieles weggefallen

Aber ich habe immer noch daran zu knacken, wenn ich andere wandern sehe, was ich früher sehr gerne gemacht habe. Oder wenn mich meine Enkel besuchen und ich nicht mehr so mit ihnen auf dem Spielplatz toben kann wie früher.

Ein großer Einschnitt war auch der Umzug: Vorher habe ich in einem wunderschönen Haus am Waldrand gewohnt. Das Haus ließ sich mit Holz beheizen, das ich selbst aus dem Wald geholt und gehackt habe. Wegen der Herzerkrankung wollte mein Sohn mich aber in seiner Nähe haben. Ich genieße den Kontakt zur Familie und das sichere Gefühl – aber der Wald und die Natur fehlen mir.

Was auch weggefallen ist: Eigentlich habe ich nach der Rente als Minijobber weitergearbeitet und mich um geistig behinderte Menschen gekümmert. Seit dem Schrittmacher geht auch das nicht mehr.

Mich umstellen und die Grenzen akzeptieren

Insgesamt bin ich froh, dass es so etwas wie den Schrittmacher gibt, er hat mir ja geholfen. Trotzdem war der Satz „Ich bin herzkrank“ für mich sehr schwer zu verinnerlichen.

Diese Freiheit, stundenlang durch den Wald zu laufen, wie ich wollte, war so schön. Heute akzeptiere ich meine Erkrankung, laufe immer noch durch den Wald – nur eben einen Schritt langsamer.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Über diese Seite

Erstellt am 19. Juni 2024

Nächste geplante Aktualisierung: 2027

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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