Die Entscheidung für die OP war nicht leicht, aber ich habe den Ärzten vertraut

Gruppe von Betroffenen im Gespräch im Stuhlkreis

Eileen, 60 Jahre

„Zur Wahl der Prothese und zum Zeitpunkt der OP würde ich mich heute mehr einlesen und verschiedene ärztliche Meinungen einholen. Und mich bei anderen Betroffenen nach ihren Erfahrungen erkundigen und Physiotherapeuten hinzuziehen.“

Bei mir war schon von Jugend an eine Rheuma-Erkrankung bekannt. Zusätzlich hatte ich eine angeborene Veränderung des Hüftgelenks, eine Hüftdysplasie – wie meine Großmutter auch. Schon in jungen Jahren hatte ich regelmäßig Hüftschmerzen, wenn ich viel gelaufen bin oder Tennis gespielt habe. Richtig ernst genommen habe ich es aber nicht: Ich habe mich bei Schmerzen etwas geschont, danach ging es weiter.

Wenn die Schmerzen zu stark waren, ging ich zu Ärzten. Die verschrieben mir ein Antibiotikum, weil man dachte, die Schmerzen kämen von einer Gelenkentzündung. Geholfen hat es aber nicht wirklich.

Erst als ich regelmäßig nur in der linken Hüfte Schmerzen hatte, wurde ich hellhörig und dachte: Da stimmt etwas nicht. Trotzdem habe ich nicht reagiert. Als Profisängerin musste ich mich viel bewegen und lange stehen. Ich habe die Zähne zusammengebissen und weitergemacht – ein häufiges Phänomen bei Menschen mit Rheuma.

Mit 25 war mein linkes Hüftgelenk durch das Rheuma zerstört

Nach der Geburt meiner Tochter hatte ich einen sehr starken Schub der rheumatoiden Arthritis, der das linke Hüftgelenk stark angegriffen hat. Das Gelenk war ja sowieso schon wegen der angeborenen Fehlstellung belastet – und dann kam die Rheuma-Entzündung dazu. Es war so zerstört, dass man über einen Gelenkersatz nachdachte. Weil ich aber mit 25 noch so jung war, hat man versucht, die OP so lange wie möglich hinauszuzögern.

Um die zu stoppen, bekam ich in das Gelenk gespritzt. Das hat auch geholfen. Und man hat versucht, den Gelenkspalt zwischen Oberschenkelknochen und Hüfte zu vergrößern, indem man mir im Liegen für ein paar Stunden am Tag Gewichte an das linke Bein gehängt hat. Es war erst einmal eine Entlastung, der Effekt hielt aber nur zwei Wochen lang an.

Die erste künstliche Hüfte mit knapp dreißig

Deswegen bekam ich meine erste künstliche Hüfte kurze Zeit später – mit 28 Jahren. Die Entscheidung für die OP und Prothesenart war nicht leicht. Aber ich habe den Ärzten vertraut. Meine Rheumatologie-Professorin an der Uni und der Chef der Orthopädie haben mich gut aufgeklärt und empfohlen, eine wirklich eng und stramm sitzende Hüftprothese zu wählen, damit sie gut einwächst und möglichst lange hält. Sie sollte aber unzementiert eingesetzt werden, um sie leicht entfernen und austauschen zu können. Ich war ja noch so jung, dass man davon ausging, dass ich mindestens noch eine zweite Prothese brauchen würde.

Ich habe die Entscheidung ausführlich mit meinem Mann besprochen und die Vor- und Nachteile abgewogen. Wir konnten ja nicht in die Zukunft schauen und wussten nicht, wie lange die künstliche Hüfte hält und ob es Komplikationen geben wird. Manche Prothesen halten nur 5 Jahre – andere mehr als 20 Jahre.

Ich wollte für meine Tochter aktiv und beweglich sein

Mir war wichtig, so früh wie möglich operiert zu werden. Denn ich wollte meine Tochter in ihren ersten Lebensjahren aktiv und aufrecht großziehen und nicht im Rollstuhl sitzen. Ich dachte: „Auch wenn die Hüfte nur fünf Jahre hält, sind es fünf aktive Jahre mit meinem Kind.“ Und es war im Nachhinein auch die richtige Entscheidung.

Meine Hoffnung war außerdem, dass sich die Behandlung der rheumatoiden Arthritis verbessert und eines Tages bessere Medikamente zur Verfügung stehen. Und dadurch die restlichen Gelenke im Körper nicht so stark zerstört werden wie die linke Hüfte.

Selbstständigkeit im Alltag war mir sehr wichtig

Ein weiterer Grund für die OP: Ich wollte im Alltag beweglich und nicht auf den Rollstuhl angewiesen sein. Wir wohnten damals im neunten Stock, der Fahrstuhl fiel oft aus. Für mich war schon der Weg zum Fahrstuhl ein Abenteuer – mit elf Treppenstufen bis dahin. Auch unsere Wohnung war nicht behindertengerecht eingerichtet. Ich wollte mehr Lebensqualität, mich bewegen und nicht abhängig von der Hilfe anderer sein.

Zum Glück hatte ich große Unterstützung durch meine Familie und meinen Freundeskreis. Alle haben mich nach der OP im Krankenhaus besucht, meine Tochter abwechselnd betreut und mir beigestanden.

Auch meine Tochter ist durch diese Krankheitsphase nicht belastet gewesen. Sie hat mir später als Erwachsene gesagt, dass sie es gar nicht als schwere Zeit wahrgenommen hat. Im Gegenteil: Die Fahrten mit dem Elektro-Rollstuhl auf meinem Schoß waren immer ein Highlight. Ihre Fröhlichkeit hat mir über schwere Zeiten hinweggeholfen.

Heute würde ich mich vor der OP mehr einlesen und erkundigen

Zur Wahl der Prothese und zum Zeitpunkt der OP würde ich mich heute aber mehr einlesen und verschiedene Meinungen einholen, sowohl bei operationsfreudigen Chirurgen als auch bei den OP-kritischen. Und mich bei anderen Betroffenen nach ihren Erfahrungen erkundigen und Physiotherapeuten hinzuziehen. Die schauen noch mal ganz anders darauf, denn mit einer guten Krankengymnastik kann man eine OP schon eine gewisse Zeit hinauszögern.

Nach der Operation fing ich sofort an zu trainieren

Ich habe mich nach der Operation schnell erholt – ich war ja jung und auch vor der OP sehr sportlich. Schon während der Reha habe ich angefangen, zu trainieren und die Muskulatur aufzubauen. Die habe ich sehr ernst genommen und bin früh mit Stöcken wandern gewesen. Ich war motiviert und wollte unbedingt ein normales Leben führen. Heute mache ich keine Physio-Übungen mehr, aber ich bewege mich viel im Alltag und trainiere ab und zu an Geräten im Fitness-Studio.

Für die älteren Patientinnen und Patienten mit neuer Hüfte war es viel schwerer, nach der OP wieder fit zu werden – vor allem, wenn sie vorher schon zwanzig Jahre keinen Sport mehr gemacht haben. Denn das muss einem klar sein: Man muss schon intensiv trainieren, ohne geht es nicht. Und das heißt auch Muskelkater. Die Hüftmuskulatur, die bei der OP durchtrennt wird, muss richtig gestärkt werden, damit sie das Gelenk hält und schützt.

Im Laufe der Jahre hat das Rheuma viele Gelenke zerstört

Mittlerweile habe ich noch mehr künstliche Gelenke bekommen. Nach der ersten Hüft-OP war eigentlich der Plan, durch die Medikamente das Rheuma zu stoppen und die restlichen Gelenke zu schützen. Leider hat die chronische aber fünf Jahre später gleichzeitig mehrere Gelenke geschädigt. Deswegen mussten die andere Hüfte und beide Knie operiert werden – genauso wie eine Schulter und ein Sprunggelenk. Ich bin also ein richtiges Ersatzteillager.

Glücklicherweise habe ich alle Operationen gut überstanden. Und meinem Rheuma geht es heute so gut wie noch nie. Es ist nämlich weg: keine , kein , keine Schmerzmittel. Ich habe nicht einmal eine Basistherapie. Und keiner weiß warum. Ich genieße es einfach und lebe im Hier und Jetzt.

Meine künstlichen Gelenke halten seit mindestens 25 Jahren

Bisher musste noch keine Prothese ersetzt werden, obwohl alle mindestens 25 Jahre alt sind. Meine erste Hüftprothese ist mittlerweile unglaubliche 31 Jahre alt. Ich kann immer noch sehr lange laufen, ein paar Stunden wandern und Fahrrad fahren. Das Einzige, was ich merke: Wenn ich müde werde, lasse ich den linken Fuß etwas hängen. Dann nehme ich das ernst und mache eine Pause. Ich möchte nicht stürzen und die Hüftprothesen gefährden.

Deswegen gehe ich bei Schnee und Glatteis vorsichtshalber gar nicht raus, um nicht zu stürzen. Ich bin vor ein paar Jahren bei einem Konzert über eine Bodenschwelle gestolpert und gefallen. Da war ich aufgeregt und habe nicht aufgepasst. Glücklicherweise hatte ich „nur“ einen komplizierten Ellenbogenbruch, der operiert wurde. Obwohl ich kräftig auf die Hüfte und aufs Knie gefallen bin, haben alle Prothesen gehalten.

Die Selbsthilfegruppe und eine Psychotherapie haben mir sehr geholfen

Die Unterstützung durch die Selbsthilfe in der Rheumaliga war für mich sehr wichtig. Durch die Gruppe wusste ich, ich bin nicht allein. Die anderen Schicksale haben mir gezeigt, dass man es schaffen kann. Das hat mir geholfen, nicht aufzugeben und den Kopf nicht in den Sand zu stecken.

Wegen des Rheumas konnte ich nicht mehr lange stehen, durch die Kortisonbehandlung wurde meine Stimme heiser. Deswegen konnte ich nicht mehr als Profisängerin arbeiten und musste meinen Beruf leider aufgeben. Das war sehr belastend, aber durch professionelle Hilfe im Rahmen einer Psychotherapie habe ich gelernt, damit zu leben.

Ich kann jedem und jeder mit einer chronischen Erkrankung empfehlen, auch an eine zu denken, wenn es zu schwer wird. Es ist ja eine lebenseinschneidende Erfahrung, und auch bei einer körperlichen Erkrankung ist die Seele verletzt und betroffen. Mit einem Profi zu sprechen, ist neutraler und leichter: Die werden ja dafür bezahlt. Familie und Freunde sind da oft überfordert.

Durch die habe ich das Selbstbewusstsein, mit der Erkrankung und der Hüftprothese sehr offen umzugehen. Alle wissen Bescheid, haben Verständnis, und mir wird dadurch mehr geholfen.

Meine Familie, Freunde und die Natur geben mir viel Kraft

Heute schöpfe ich vor allem durch meine Familie und Freundschaften viel Kraft. Ich bin viel in der Natur: Mit einem motorisierten Dreirad fahre ich viel im Wald und in der Heide und tanke oft am Meer auf.

Mittlerweile mache ich wieder Musik: Ich singe ehrenamtlich in Gottesdiensten und habe Musiktherapie studiert. Und ich gebe in einer Rheumaklinik Kurse zur Schmerzbewältigung. So waren meine eigenen Erfahrungen nicht umsonst und können anderen helfen.

Eine künstliche Hüfte ist kein Weltuntergang, das kann man bewältigen. Wichtig ist, nicht den Mut zu verlieren: Auch mit einem Gelenkersatz kann man ein erfülltes Leben führen.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Über diese Seite

Erstellt am 09. August 2023

Nächste geplante Aktualisierung: 2026

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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