Wundpflege ist mühsam und kostet Zeit

Foto von telefonierendem Mann auf Sofa

Christoph, 50 Jahre

„Ein Spezialist empfahl die Entlastung der offenen Wunde und konsequent ein paar Monate lang eine gründliche Wundpflege: alle zwei Tage spülen und reinigen, abgestorbenes Gewebe abtragen und mit speziellen Pflastern bedecken, die die Wundheilung fördern.“

Mit 19 Jahren hatte ich einen schweren Unfall am Weinberg meiner Familie, als ich meinem Vater aushalf: Mithilfe einer Seilwinde wurde ein Pflug den Berg hochgezogen. Durch einen Materialfehler löste sich das Stahlseil, schlug mir mit voller Wucht gegen beide Unterschenkel und zog mich unter den Traktor.

In letzter Sekunde konnte ich den Motor abschalten, aber meine Beine waren schwer verletzt: Links waren Muskeln, Gefäße und der Knochen zerfetzt, rechts vor allem die Weichteile. Ich wurde notfallmäßig versorgt, weil ich aus einer Arterie stark blutete. Später in der Klinik wurden die Knochen gerichtet und alle Muskeln, Sehnen und Gefäße vernäht.

Das linke gebrochene Bein lag in einer offenen Gipsschiene, die Ferse lag dabei ungepolstert dem Gips direkt auf.

Die offene Wunde an der Ferse wurde vernachlässigt

Nach einigen Tagen wurde das Gewebe an der Ferse schwarz, aber niemand reagierte – auch dann nicht, als ich nach fünf Wochen entlassen wurde und alle zwei Tage zum ambulanten Verbandswechsel in die Klinik ging. Es hieß: „Vielleicht regeneriert sich das Gewebe ja wieder und es bildet sich eine neue Haut.“

Stattdessen wurde es im Laufe der nächsten Wochen schlimmer: Die schwarzen Gewebeschichten lösten sich und eiterten. Das abgestorbene Gewebe wurde deswegen abgetragen und die Wunde offengelassen, damit sie von unten zuheilen konnte.

Leider ist die Ferse nie wieder so geworden wie vorher. Statt der Ferse hatte ich eine dicke Hornplatte, die immer wieder aufging, nässte und stark roch.

Wegen Nervenverletzungen spürte ich den Fuß nicht und fiel oft hin

Zusätzlich zur offenen Ferse hatte ich am linken Fuß und Unterschenkel kein Gefühl mehr, weil beim Unfall mehrere Nerven verletzt worden waren. Ich wurde erst drei Wochen nach dem Unfall durch Neurologen und einen Neurochirurgen untersucht. Da war es aber schon zu spät, um die Nerven zu retten.

Weil ich ab der Mitte des Unterschenkels nichts mehr spürte, waren die ersten Gehversuche sehr mühsam: Ich wusste nicht, wann der Fuß auf dem Boden und in der Luft war. Die Koordination beim Gehen war gestört und ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, mit einem eingeschlafenen Fuß zu laufen. Ich stolperte oft und fiel ständig hin.

Eine weitere Folge der Nervenverletzungen: Ich bekam Krallenzehen, die operiert wurden, damit meine Zehen wieder gerade waren und ich einen guten Stand hatte. Bei einer weiteren OP wurde ein Nerv in der Kniegelenksgegend freigelegt, weil man hoffte, so die Gefühlsstörungen zu beheben. Aber auch das half nicht.

Die Ärzte sahen keine Chance, die Nerven am Unterschenkel und Fuß zu retten: „Damit musst du leben, da können wir nichts machen“, hieß es.

Ein weiterer Eingriff war nicht erfolgreich

In den nächsten Jahren blieb es schwierig mit der Ferse: Die offene Stelle schloss sich nie vollständig. Es gab immer wieder neue Hoffnung – die sich aber leider nicht erfüllte.

Zuerst wollte ein Chirurg die Ferse mithilfe meines eigenen Wadenmuskels neu aufbauen und war dabei sehr zuversichtlich: „Das ist überhaupt kein Problem. Wir holen Ihnen den großen Wadenmuskel mit allen Gefäßen aus der Wade heraus, tunneln den unter der Haut und pappen ihn von unten an die Ferse.“ Ich ließ mich darauf ein und hoffte sehr, damit wieder normal laufen zu können. Als Vorbereitung wurde ein großer Teil der Ferse abgetragen und die offene Wunde vakuumversiegelt, damit der übrige Stumpf frisch durchblutet blieb und das Transplantat gut anwuchs.

Leider war der Eingriff nicht erfolgreich: Der Muskellappen wurde schwarz und starb ab. Nach dem Abtragen hatte ich einen im 45-Grad-Winkel abgeschnittenen Fußstumpf und konnte noch schlechter gehen als vorher.

Die Wunde brach wieder auf und entzündete sich

Die übrige offene Wunde wurde mit einer dünnen provisorischen Haut abgedeckt, die später durch ein neues Transplantat ersetzt werden sollte. Die Haut war aber nicht stabil und brach nach drei Monaten auf: Ich hatte wieder eine offene Wunde, die schmerzte und nässte.

Trotzdem sollte ich weiter versuchen zu gehen und bekam dafür orthopädische Schuhe, die die Ferse aussparten, und eine , also ein Leder-Stahl-Gestell, das unter dem Knie fixiert war. Das Gehen funktionierte gut – die offene Wunde an der Ferse blieb allerdings.

Leider entzündete sich die Wunde und in der Folge bekam ich eine hartnäckige Knochenentzündung. Es folgten drei Monate lang hochdosiert per . Ich durfte das Bein nicht mehr belasten und saß im Rollstuhl.

Schließlich wurde der Fuß amputiert

Aber auch nach drei Monaten war die Knochenentzündung nicht besser. Im Gegenteil – sie hatte sich weiter ausgebreitet und die Wunde war mittlerweile schwarz, matschig und roch.

Die Ärzte sagten, dass der Fuß amputiert werden müsse. Man könne zwar noch sogenannte Antibiotika-Ketten in die Wunde einlegen. Dann würde der Wirkstoff direkt vor Ort wirken und vielleicht besser bis in den Knochen dringen. Viel Hoffnung hatten sie aber nicht.

Ich war schockiert: Auf der einen Seite wollte ich meinen Fuß nicht verlieren. Auf der anderen Seite wollte ich aber endlich wieder gehen und ein normales Leben führen.

Deswegen entschied ich mich dann doch für die Amputation. Es wurde dabei nicht nur der Fuß, sondern gleich der halbe Unterschenkel mit amputiert. So sollte die Prothese eine größere Auflagefläche haben und ich stabiler laufen können. Es hieß: „In acht Wochen gehen Sie hier raus, haben eine Prothese und werden besser gehen können als jemals zuvor.“

Eine gründliche Wundpflege war zunächst erfolgreich

Ich war frohen Mutes, wurde aber wieder enttäuscht: Eine Woche nach der OP wurde der Stumpf schwarz. Deswegen wurde endlich auch ein Spezialist hinzugezogen, der sich mit offenen Wunden auskannte.

Er empfahl die Entlastung der Wunde und konsequent ein paar Monate lang eine gründliche Wundpflege: Alle zwei Tage wurde die Wunde gespült und gereinigt, abgestorbenes Gewebe abgetragen und mit speziellen Pflastern bedeckt, die die Wundheilung fördern.

Ein Pfleger mit einer Spezialausbildung in Wundmanagement engagierte sich besonders: Er kontrollierte täglich, ob die Wunde sauber und steril blieb. Jedes Mal saß er eine halbe bis Dreiviertelstunde bei mir und entfernte mit der Pinzette totes Gewebe – Zentimeter für Zentimeter. Zusätzlich trug er einen speziellen Wund-Honig auf.

Und tatsächlich heilte die Wunde nach sechs Monaten fast vollständig – endlich! Es wurde ein Prothesen-Schaft angelegt, ich bekam Gehhilfen und startete wieder mit ersten Gehversuchen. Die Hoffnung war, dass der Druck beim Gehen die Durchblutung des Gewebes anregte und sich die noch offene kleine Stelle schloss.

Aber leider führte der Druck dazu, dass die offene Stelle größer wurde und wieder anfing zu nässen. Auch im weiteren Verlauf hatte ich immer wieder neue Druckstellen, die aufgingen, sich entzündeten und sich nur sehr langsam wieder schlossen. Außerdem entstanden in der Kniekehle eitrige Abszesse. Es war sehr mühsam und frustrierend, aber ich blieb dran.

Die offene Wunde hat immer gerochen

Bei der Wundpflege haben mir vor allem Schaumstoff-Pflaster und ein trockener Verband geholfen. Das war viel erfolgreicher als die feuchte Wundheilung mit Wundauflagen wie zum Beispiel Hydrokolloid oder Hydrogen.

Für meine Umgebung war es bestimmt nicht angenehm, dass die Wunde roch – vor allem, wenn sie entzündet war. Trotzdem schämte ich mich wegen des Geruchs nie, ich konnte es ja nicht ändern.

Mir hat viel mehr ausgemacht, dass ich zeitweise im Rollstuhl sitzen musste und einen Meter kleiner war als die Menschen um mich herum. So fühlte ich mich nicht auf Augenhöhe mit den anderen.

Ich habe immer Verbandsmaterial dabei

Der Alltag mit einer offenen Wunde ist nicht entspannt: Ich habe mein „Wund-Notfall-Set“ immer dabei, da ich nie weiß, wann die Wunde wieder aufgeht und neu verbunden werden muss.

Mittlerweile ist der Stumpf einigermaßen stabil und ich kann die Prothese anlegen und mit Gehstützen auch gehen. Allerdings ist die Kniekehle immer gereizt und die meiste Zeit ist dort eine offene Stelle, die nässt und sich entzündet – da habe ich nie Ruhe.

Starke Schmerzen haben mein Leben sehr eingeschränkt

Was mich sehr belastet hat, sind starke, bis in den Fuß einschießende Schmerzen – als ob mir ein Messer in den Unterschenkel gerammt wird. Sie begleiten mich jetzt seit fast dreißig Jahren.

Gegen die Schmerzen habe ich im Laufe der Zeit alle möglichen Schmerzmittel genommen – von frei verkäuflichen Mitteln wie bis zu starken Opiaten wie Oxycodon, Paladon oder Fentanyl. Da ich mich aber vor allem durch die Morphium-Präparate psychisch veränderte und immer „neben mir stand“, setzte ich irgendwann alle Medikamente ab und nahm lieber die Schmerzen in Kauf.

Erst als ich auf Cannabis umstieg, wurde es besser. Zuerst nahm ich Cannabis-Kapseln, dann ein Spray. Beides war aber nicht optimal. Heute bin ich sehr zufrieden mit Cannabis-Blüten, die ich über einen speziellen Verdampfer inhaliere. Das hilft mir sowohl gegen die Wundschmerzen als auch gegen Nerven- und Phantomschmerzen nach der Amputation.

Ich habe mir eine Selbsthilfegruppe angeschaut

Ich war auch bei einem Treffen einer Selbsthilfegruppe, aber es war nicht ganz meins. Der Gründer der Gruppe drängte sich zu sehr in den Vordergrund, war extrem „positiv“ und machte ständig Späße. Mich hat es mehr genervt und mir Druck gemacht, als dass es mir half.

Aber die Selbsthilfegruppen unterscheiden sich ja lokal sehr, es kommt immer auf die einzelne Gruppe und die Stimmung dort an. Vielleicht hätte eine andere Gruppendynamik besser für mich gepasst.

Was auch ein Hindernis war, regelmäßig zu Treffen zu gehen: Ich spreche nicht gerne vor vielen Menschen über heikle oder sensible Themen. In der während der Reha sagte ich immer: „Ich umreiße meine Geschichte in einer Minute, das muss reichen.“

Mir ist es lieber, ich tausche mich mit einer einzelnen Person aus – wie mit meiner Therapeutin oder einem ehemaligen Zimmernachbarn aus der Klinik. Mit ihm telefoniere ich immer noch regelmäßig in großen Abständen.

Es ist unklar, wieso ich so oft Wundheilungsstörungen hatte

Die Probleme mit der Wundheilung ziehen sich durch meine ganze Geschichte: Entweder wird das Gewebe schwarz und stirbt ab, oder es heilt sehr langsam und schlecht. Um die Ursache dafür herauszufinden, wurde ich von Spezialisten an verschiedenen Unikliniken auf den Kopf gestellt.

Aber es kam nichts dabei heraus: Ich hatte keine Durchblutungsstörungen an den Beinen und keinen Diabetes. Auch mein war in Ordnung. Ob die schlechte Wundheilung mit meiner Neigung zu Entzündungen in der Achselhöhle und einem leicht erhöhten Risiko für Thrombosen durch ein Faktor-V-Mutation Typ Leiden zu tun hat, weiß ich nicht. Am Ende der Untersuchungen wurde nur gesagt: „Das ist Veranlagung, da können wir nichts machen.“

Das ist für mich aber nicht wirklich zufriedenstellend. Eigentlich bräuchte ich jemanden, der auf gründliche Spurensuche geht – eine Art „Dr. House“, der Fernseharzt, der auch seltene und abwegige Diagnosen herausfindet, wenn andere nicht weiterkommen.

Eine gute Wundpflege ist wichtiger als die Wundauflage selbst

Ich habe jetzt 20 Jahre Erfahrung im Bereich Wundversorgung in Kliniken und Praxen. Und die Versorgung lässt wirklich zu wünschen übrig. Viele haben überhaupt keinen Plan: Sie kleben ein trockenes oder feuchtes Pflaster auf die Wunde, verbinden sie und das war's. Wundpflege erfordert aber Wissen, ist mühsam und kostet Zeit.

Das Thema ist ein Stiefkind der Medizin: Ich glaube, in der Ausbildung von Ärzten und Pflegern kommt der Bereich Wundmanagement zu kurz. Außerdem kommen chronische Wunden in vielen verschiedenen Fachbereichen in der Medizin vor, das Wissen wird aber nicht gebündelt.

Meiner Meinung nach sind für die von offenen Wunden ein gutes Wundmanagement und ausgebildete Fachkräfte wesentlich wichtiger als die Wundauflage selbst.

Danksagung

Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank.

Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar.

Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen.

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Über diese Seite

Erstellt am 09. Juli 2025

Nächste geplante Aktualisierung: 2028

Herausgeber:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

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